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Deutsche Asienpolitik

Die Asienpolitik der Ampel

Der Koalitionsvertrag in der asienpolitischen Analyse

„Mehr Fortschritt wagen. Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit“ heißt der 178-seitige Koalitionsvertrag, der diese Woche von den drei zukünftigen Regierungsparteien aus SPD, Bündnis 90/Die Grünen und der FDP vorgestellt wurde. Dieser Beitrag untersucht und interpretiert den asienpolitischen Gehalt des Dokuments. Und um es gleich vorweg zu nehmen: Asienpolitik.de fiel auf Seite 24 folgender Satz auf:

Asien- und China-Kompetenz wollen wir deutlich ausbauen.

Da greifen wir natürlich gerne unterstützend in die Tasten.

Asienpolitik der Ampel: Auch hier hat die designierte Regierung einiges zu bieten

Dieser Artikel zur Asienpolitik der Ampel beleuchtet zudem in Kürze Hintergründe der deutschen China-und Asienpolitik der letzten Jahrzehnte. Eine Kernthese auf Asienpolitik.de ist, dass sich die deutsche China- und Asienpolitk nicht länger vom Primat der Wirtschaft leiten lässt, sondern dass politische, strategische und geopolitische Perspektiven die Oberhand gewinnen. Ist dies auch im Koalitionsvertrag zu erkennen?

Deutschlands Stabilität, Chinas Beitrag

Seit Jahrzehnten ist die Asienpolitik der Bundesregierung „chinalastig“. Da Deutschland keine geopolitischen Interessen in Asien hat(te) und vor allem als Industrie- und Handelsmacht im östlichen Asien in Erscheinung tritt, zieht das wirtschaftlich aufsteigende Riesenreich seit den 1990ern das Hauptinteresse Berlins auf sich.

Heute wickelt Deutschland rund 35% Prozent des gesamten Handels der Europäischen Union (EU) mit China ab. Als einziges Land der EU hatte die Bundesrepublik in den letzten Jahren sogar teils positive Handelsbilanzen zu verzeichnen. China wurde Deutschlands wichtigster Handelspartner und hat zum Wohlstand der „europäischen Zentralmacht“ (Hans-Peter Schwarz) und damit zur Stabilität Europas in Zeiten der „Polikrisen“ (Jean-Claude Juncker) beigetragen. Insofern war die Chinapolitik Deutschlands erfolgreich.

Doch die Stimmung kippt, und zwar ausgerechnet in der Wirtschaft, die unfaire Praktiken chinesischer Akteure beklagt. Das ist bemerkenswert, da vor allem Großunternehmen seit Anfang der 1990er Jahre die Chinapolitik stark geprägt haben.

Doch in der Koalitionsvereinbarung kündigt sich nun ein chinapolitisches Umdenken an (Seite 157).

Wir wollen und müssen unsere Beziehungen mit China in den Dimensionen Partnerschaft, Wettbewerb und Systemrivalität gestalten. Auf der Grundlage der Menschenrechte und des geltenden internationalen Rechts suchen wir die Kooperation mit China, wo immer möglich. Wir wollen im zunehmenden Wettbewerb mit China faire Spielregeln.

Die künftige Regierung strebt zudem eine „enge transatlantische Abstimmung in der China-Politik an“ und sucht die „Zusammenarbeit mit gleichgesinnten Ländern um strategische Abhängigkeiten zu reduzieren“.

Kein Investitionsabkommen mit China, mehr Partnerschaft mit anderen asiatischen Mächten?

Das EU-Investitionsabkommen mit China wurde jahrelang durch Bundesregierung und Europäische Kommission vorangetrieben. Allerdings steht es vor dem Aus, seit das Europäische Parlament es im Mai 2021 abgelehnt hat. Andere europäische Staaten sind viel weniger in China investiert, haben andere Prioritäten. Auf Seite 35 des heißt es dazu:

[E]ine Ratifikation des EU-China-Investitionsabkommens im EU-Rat kann aus verschiedenen Gründen zurzeit nicht stattfinden. Wir werden uns für Reziprozität einsetzen.

Auch grundsätzlich politisch knirscht es seit einigen Jahren im chinapolitischen Gebälk, und andere Akteure rücken strategisch stärker ins Blickfeld, wie Indien und der südostasiatische Staatenverbund ASEAN. Im September 2020 hat die Bundesregierung ihre Indo-Pazifik-Leitlinien vorgestellt, die China aufgrund seiner aggressiven Außenpolitik und den Rechsbruch bezüglich Hongkong kritischer beurteilt. Die Ampelkoalition bekennt sich zu den

„[…] Indo-Pazifik-Strategien Deutschlands und der EU und [setzt sich] für eine freie und offene indo-pazifische Region auf der Grundlage globaler Normen und des Völkerrechts ein.“

Die deutsche Asienpolitik ist im Wandel. So verkündet das Papier „ein herausragendes Interesse an der Vertiefung unserer strategischen Partnerschaft“ mit Indien.

Die Ampel möchte die EU-ASEAN Partnerschaft „vorantreiben“ (Seite 157). Vielleicht ist es der neuen Bundesregierung in spe entgangen, vielleicht war es ihr aber auch einfach nicht wichtig genug: Auch mit ASEAN ist die EU seit 2020 eine „strategische“ Partnerschaft eingegangen. Immerhin wurde ASEAN zweimal im Koalitionsvertrag erwähnt. Es wird spannend sein zu sehen, in welche Richtung sich die triangularen China-EU-ASEAN-Beziehungen (jeder ist mit jedem in einer strategischen Partnerschaft) in den nächsten Jahren entwickeln.

Wenn es die EU nicht schafft, ihre Standards gegenüber ASEAN in Handelsgesprächen durchzusetzen, ist die vermeintliche globale Führungsrolle der EU bezüglich ökonomischen, ökologischen und sozialen Standards eine kurze Episode der Geschichte geblieben.

Auch mit den indo-pazifischen Wertepartnern wie Australien, Japan, Neuseeland und Südkorea soll der Ausbau der Beziehungen „vorangetrieben“ werden. Im Gegensatz zu den Indo-Pazifikleitlinen wurde Singapur diesmal nicht als Wertepartner erwähnt.

Asienpolitik der Ampel und China-politische Zweifel an der SPD

Außenpolitik wird im Kanzleramt gemacht. Abgesehen von Willy Brandt (SPD) und Hans-Dietrich Genscher (FDP) hat kaum ein Außenminister in den letzten Jahrzehnten bleibende Akzente setzen können. Aktuelle Kostprobe? Die Bundesanzlerin anvertraute ihrem Außenminister Heiko Maas (SPD) vor allem Organisatorisches (Konferenzen, Strategiepapiere vorstellen, 2020 Auslandstouristen heim-, 2021 afghanische „Ortshelfer“ ausfliegen). Dieser zahlte mit besten Haltnungsnoten zurück. Deshalb lohnt sich ein Blick speziell auf SPD-Akteure im Kanzleramt, sowie auf das aktuelle SPD-China Positionspapier der Bundestagsfraktion vom Juni 2020.

Ändert sich die deutsche Chinapolitik unter SPD-Führung? Macht die Bundesregierung ihr europapolitisches Bekenntnis wahr und versteht sich durch Taten als ein „Diener“ der EU, wie es im Koalitionsvertrag heißt?

Das außenpolitische Engagement der EU ist dem Frieden, den internationalen Menschenrechten und der Konfliktvermeidung verpflichtet. Unser Ziel ist eine souveräne EU als starker Akteur in einer von Unsicherheit und Systemkonkurrenz geprägten Welt.

Tatsächlich hat Deutschland in den letzten Jahren immer wieder eine stärker vergemeinschaftete europäische EU-Außenpolitik immer auch dann gegenüber China und Russland unterminiert, wenn es um handfeste wirtschaftspolitische Interessen ging. Deutschlands Sologänge und überragende Rolle im EU-China-Geschäft dürften dazu beigetragen haben, dass europäische Länder im Süden teils mit der Seidenstraßen-Initiative (Italien, Griechenland), und im Osten mit der 1+16-Initiative Chinas paktieren. Frankreich, seinerseits ein starker Akteur, machte es seit den 1990er Jahren der deutschen Chinapolitik gleich und organisierte identische Vertriebsausflüge.

Als Taiwan noch Teil der Greater-China-Vision war

Unter Bundeskanzler Kohl (-1998) von der CDU wurde die EU chinapolitisch zur Menschenrechts-NGO degradiert. Der Kanzler jettete indes mit Dutzendschaften von Wirtschaftsbossen auf Verkaufs- und Investitionstouren nach China.

1997 besuchte der FDP-Wirtschaftsminister Rexrodt Taiwan, um Siemens-Schnellzüge zu verkaufen (gescheitert). Denn Taiwan war damals wirtschaftsstrategischer Bestandteil der deutschen Greater-China-Vision des Asien-Pazifik-Ausschusses der deutschen Wirtschaft.

Dieser wurde vom Chef der Geldkoffer, dem damaligen Siemens-Vorstandschef Heinrich v. Pierer, von 1993 bis 2006 geleitet. Siemens-Manager beklagten später Rückenschäden durch das Tragen der mit Geld gefüllten Pilotenkoffer. Das waren Zeiten. Seit 1998 ist in Deutschland Bestechung im Ausland strafbar. Der Einfluss von Siemens auf die deutsche Asien- und Chinapolitik in den letzten drei Jahrzehnten wäre eine eigene Untersuchung wert.

Auch die SPD hat chinapolitische Verdienste. Wenn es nach Bundeskanzler Schröder gegangen wäre, wäre das EU-Waffenembargo gegenüber China unter Kohls Nachfolger Schröder (1998-2005) aufgehoben worden. Vielleicht wäre dann mehr als die Transrapid-Strecke Shanghai-Pudong drin gewesen. Damals haben die Grünen (eher halbherzig: Joschka Fischer, der grüne Außenminister) und vor allem die USA interveniert.

„Gasgerd“ machte dann bekanntlich in Russland Karriere. Sein treuer Adlatus Frank-Walter Steinmeier mitverantwortet die Russlandpolitik der letzten 20 Jahre („Modernisierungspartnerschaft“). Auch als Bundespräsident meldet er sich, ganz der typische SPD-Russlandversteher, gerne aus Schloss Bellevue zu Wort um für das umstrittene Nord Stream 2 Projekt Russlands und seines Förderers zu trommeln.

Seine zeitweise Chefin Angela Merkel gilt ohnehin als „Panda-Hugger“ und wurde unlängst offizielle „alte Freundin“ („lao pengyou“) Chinas. Damit ist sie in bester Gesellschaft mit Fidel Castro und Robert Mugabe. Aber eben auch mit Richard Nixon, Bill Gates, und, man ahnt es schon, Gerd Schröder, denen die gleiche große Ehre zuteil wurde.

Neue china- und taiwanpolitische Töne aus der SPD

Doch sind die Zweifel berechtigt? Am 30. Juni 2020 hat die SPD-Fraktion das fünfzehnseitige Positionspapier „Souverän, regelbasiert und transparent. Eine sozialdemokratische Chinapolitik“ herausgegeben.

Wir unterstützen die Politik der Bundesregierung gegenüber Taiwan. Zu einseitigen Änderungen des Status quo durch die Volksrepublik China oder einer gewaltsamen Auseinandersetzung in der Taiwan-Straße darf es nicht kommen. Taiwan hat sich seit dem Ende des Ausnahmezustandes 1987 zu einer lebendigen Demokratie gewandelt und ist Deutschlands fünftwichtigster Handelspartner in Asien. Im Rahmen der Ein-China-Politik setzen wir Sozialdemokrat_innen uns für eine stärkere Einbindung Taiwans in internationale Organisationen ein und sind bestrebt, die wirtschaftlichen, kulturellen und wissenschaftlichen Beziehungen zu Taiwan weiter zu fördern.

Es kann durchaus sein, dass die SPD den Schwenk in der Chinapolitik mitträgt, zu dem die CDU-Kanzlerin Merkel nicht (mehr) fähig war. Merkel, so war zu lesen, tendierte eher gegen die Entsendung der Fregatte Bayern ins Südchinesische Meer.

Die Koalitionsvereinbarung ist deutlich und unmissverständlich, was China missfallen dürfte, wenn es da heißt:

„Unsere Erwartung an die chinesische Außenpolitik ist, dass sie eine verantwortungsvolle Rolle für Frieden und Stabilität in ihrer Nachbarschaft spielt. Wir setzen uns dafür ein, dass territoriale Streitigkeiten im süd- und ostchinesischen Meer auf Basis des internationalen Rechts beigelegt werden. Eine Veränderung des Status Quo in der Straße von Taiwan darf nur friedlich und im gegenseitigen Einvernehmen erfolgen. Im Rahmen der Ein-China-Politik der EU unterstützen wir die sachbezogene Teilnahme des demokratischen Taiwan in internationalen Organisationen. Wir thematisieren klar Chinas Menschenrechtsverletzungen, besonders in Xinjiang. Dem Prinzip „Ein Land-zwei Systeme“ in Hong Kong muss wieder Geltung verschafft werden.“

Wirklicher Umschwung in der Asienpolitik? Normativismus trifft Realität

Der Trend, der auf Asienpolitik.de bereits zu den Indo-Pazifikleitlinien herausgearbeitet wurde, verfestigt sich. In der Asienpolitik der Ampel bekommen politische und strategische Gesichtspunkte, aber eben auch ideologische, die Oberhand. Erstens, das Primat der Politik löst das Primat der Wirtschaft ab – gut so. Zweitens, die Asienpolitik wird endlich breiter aufgestellt, Indien, ASEAN, Wertepartner, bekommen mehr Gewicht. Auch wenn Zählereien eher oberflächlich sind: Das Dokument erwähnt Indien dreimal, Japan, ASEAN und sogar Taiwan je zweimal. In den Partnerschaften soll es inhaltlich unter anderem gehen um

  • Dialog zu Frieden und Sicherheit im indo-pazifischen Raum
  • Konnektivitätspartnerschaften mit Indien, ASEAN, etc.
  • Infrastrukturentwicklung nach qualitativ hohen Standards mit der Global Gateways – Initiative der EU
  • Unterstützen und stärken von Initiativen wie die Allianz der Demokratien oder die Allianz für den Multikulturalismus
  • Zusammenarbeit gegen Fake News und Autoritarismus, Cyberangriffen, etc.

Das Dokument ist außenpolitisch gespickt mit guten Absichten und normativen Politiken („Feminist Foreign Policy“, Multikulturalismus, Flüchtlingspolitik, Klimapolitik, Multilateralismus). Doch wenn es die Asienpolitik der Ampel nicht schaffen sollte, zusammen mit der EU eine strategische und sicherheitspolitische Ausstrahlung in der Region zu entwickeln, von substanziellen Finanzinstrumenten als Antwort auf Chinas Seidenstraßeninitiative ganz zu schweigen, wird vieles gute Absicht bleiben. Nicht zuletzt steht auf dem Schachbrett ASEAN die Glaubwürdigkeit europäischer Regulierungskometenz auf dem Spiel. Denn China drückt längst seine eigenen Standards durch, und es ist keinesfalls ausgemacht, dass sich Japan und Südkorea als Wertepartner der EU andienen.

Denn eines sei der Regierung, die Asien-und China-Kompetenz fördern möchte, gesagt: Ohne eine stärkere strategische Positionierung Deutschlands und der EU bleiben gute Absichten in dem strategischen Hardball-Umfeld in Ostasien das was sie sind. Die Fregatte Bayern kann darüber nicht hinwegtäuschen.

Asienpolitik der Ampel: Bildungstransfer wäre der entscheidende Faktor

Vor allem aber sollte eines nicht übersehen werden. China und auch andere asiatische Staaten überflügeln im Bereich der höheren Ausbildung Europäer und Deutsche, quantitativ, aber mittlerweile auch qualitativ. Dies ist auch ein wichtiger Grund, weshalb die deutsche Wirtschaft China-kritischer geworden ist. Das macht sich in Patenten und Erfindungen und früher oder später auch im Wohlstand bemerkbar. Es handelt sich eben nicht nur um unfaire Praktiken und Urheberrechtsklau der bösen Chinesen, die die Welt erobern wollen.

Wenn die Politik, und danach sieht es aus, weiterhin Migration großen Stils bildungsablehnender Schichten aus normativen und ideologischen Gründen begrüßt, wird es im Wettbewerb mit den ostasiatischen bildungshungrigen Nationen scheitern. Stattdessen müsste Deutschland Talente rekrutieren. Ehrgeizige Ostasiaten, die den Sprung auf den deutschen Arbeitsmarkt wagen, wären der beste Beweis einer höheren Attraktivität westlicher Werte. Kinderarmut in Deutschland ist herbeigeführtes Ergebnis der Einwanderungspolitik und falscher Anreize der Sozialpolitik.

Eine umfassende, kohärente Strategie, wie Deutschland und die EU mit der zentralen Herausforderung durch China und Asien umgehen, steht also weiterhin aus. Aber vielleicht ist die Asienpolitik der Ampel ja lernfähig und die FDP kann als Korrektiv wirken.

 

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