Gratulationsetikette – so definiere ich die Kunst, einem demokratisch gewählten Präsidenten Taiwans sehr zum Gefallen Chinas zu beglückwünschen, oder es eben besser gleich sein zu lassen.
Am 13. Januar 2024 hat Taiwan einen neuen Präsidenten und ein neues Parlament gewählt. Gewonnen hat der Kandidat Dr. Lai Ching-De (賴清德) der Demokratischen Fortschrittspartei (DPP) mit der relativen Mehrheit von ca. 40 Prozent in einem Drei-Kandidaten-Wahlkampf. Erstmals wird damit ein Präsident aus der gleichen Partei gewählt, die auch die amtierende Präsidentschaft innehat, nämlich Tsai Yingwen (蔡英文). Allerdings hat die DPP mit 51 Sitzen keine Mehrheit mehr im 113-Sitze-Parlament. Die Kuomintang (KMT) verfügt über 52 Sitze, acht Sitze gewinnt die Ko Wen-je (柯文哲)-Partei TPP, und zwei bleiben für unabhängige Kandidaten. Damit wird das Regieren schwieriger werden.
Laut Angaben des taiwanischen Außenamts haben über 100 Staaten Taiwan zu den Wahlen gratuliert. Doch wie gratuliert man einem gewählten Präsidenten eines Landes, den und das es eigentlich gar nicht gibt?
So manch einer fürchtet ins diplomatische Fettnäpfchen zu treten. Deshalb ist Verständnis für die Gratulationsetikette aus chinesischer Sicht wichtig. Wer verhält sich korrekt oder sogar korrekt mit Stern, wer ist unfassbar geschmeidig, wer ist pflichtschuldig, wer ist anmaßend, und wer wurde kurzzeitig zum Troublemaker ?
Korrektes Verhalten
Korrekt verhalten sich aus chinesischer Sicht Staaten, die international nicht auf Wahlen für die taiwanische Provinzbehörde Chinas reagieren, da Taiwan ein „untrennbarer Teil“ Chinas ist. Wahlen in Taiwan sollten Regierungen aus chinesischer Sicht genau so viel interessieren wie die im indischen Bundesstaat Chhattisgarh, mit 25 Millionen Einwohnern in etwa so bevölkerungsreich wie Taiwan: nämlich gar nicht. Oder wissen Sie, wann die letzten Wahlen in Chhattisgarh waren, wo das in Indien liegt und ob man da überhaupt wählt?
Wenn wir von etwa 200 Staaten ausgehen, haben knapp die Hälfte der Staaten korrektes Verhalten an den Wahltag gelegt, indem sie überhaupt nicht reagiert haben – die ideale Gratulationsetikette.
Korrektes Verhalten mit Stern
Manche Staaten erwähnen die Wahlen durchaus oder indirekt, ohne sie als solche zu benennen. Indonesien hat z.B. die „Entwicklungen in Taiwan“ am 13. Januar „genau studiert“ und bekennt sich durchgehend zur Ein-China-Politik. Indonesien sieht sich zwar mit Gebietsforderungen durch China konfrontiert, allerdings sind Jakartas Sorgen größer, dass es weitere nach Autonomie oder Unabhängigkeit strebende Inseln im eigenen Inselreich gibt.
China is bekannt dafür, Unabhängigkeitsströmungen in anderen Ländern zu befördern, insbesondere wenn diese taiwanfreudlich sind. In Europa gilt Spanien als besonders chinafreundlich aufgrund Kataloniens.
Madrid hat sich übrigens korrekt verhalten.
Auch das Außenamt von Kambodscha hat sich in vorauseilendem Gehorsam „im Lichte der gegenwärtigen Entwicklungen in Taiwan resolut zur Ein-China-Politik bekannt“, und ebenso dazu beeilt, die Volksrepublik China als die „einzige legitime Vertretung von ganz China“ nur einen Tag nach der Wahl zu benennen.
Kambodscha und Indonesien sind zwei wichtige Staaten für Chinas Mammutprojekt „Neue Seidenstraße“ zur Förderung der Konnektivität mit dem südostasiatischen Staatenverbund ASEAN. Hier habe ich einmal die Seidenstraßen-Investitionen Chinas nach ASEAN unter die Lupe genommen.
Eine Woche nach den Wahlen hat der chinesische Außenminister Wang Yi (王毅)Brasilien besucht, und sich dort von seinem brasilianischen Kollegen die Ein-China-Politik bestätigen lassen und das Taiwan ein untrennbarer Teil Chinas sei.
Brasilien ist ein wichtiger Partner Chinas in der BRICS-Staatengruppe.
Staaten, die sich korrekt mit Stern verhalten, sind solche, die einfach auch schweigen könnten, aber ein Bedürfnis haben, sich also Musterschüler der Parteischule der Kommunistischen Partei Chinas zu gerieren.
Wir finden diese vor allem in den Schwellenländern des Südens.
Die Sprechern des Außenamtes der Volksrepublik Mao Ning hat folgende Staaten genannt, die als korrekt mit Stern klassifiziert werden: Vietnam, die Philippinen, Kambodscha, Laos, Bangladesch, Sri Lanka, Nepal, South Africa, Ägypten, Äthiopien, Simbabwe, Kazakhstan, Uzbekistan, Tajikistan, Belarus, Serbien, Ungarn, Papua New Guinea, Kuba, und Venezuela.
Die unfassbar Geschmeidigen
In den letzten Jahren prägt Deutschland die Chinapolitik der Europäischen Union besonders stark, im Guten wie im Schlechten. Dazu werde ich einmal einen gesonderten Artikel auf Asienpolitik.de schreiben. Was die Wahlen in Taiwan angeht, hat die EU wieder einmal maximale Geschmeidigkeit bewiesen. Sie macht nicht mehr als unbedingt nötig und nimmt sich so, in einer längeren Reihe von Fehlentscheidungen, als asienpolitischer oder strategischer Akteur aus dem Spiel. Ich übersetze und zitiere die gesamte Pressemeldung des European External Action Service (EEAS):
Die Europäische Union begrüßt die Wahlen am 13. Januar und beglückwünscht allen Wählern die an der demokratischen Übung (exercise im Original) teilgenommen haben. Unsere jeweiligen Regierungssysteme gründen auf einem gemeinsamen Bekenntnis zu Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte.
Die Europäische Union unterstreicht, dass Frieden und Stabilität in der Taiwanstraße entscheidend für die regionale und globale Sicherheit und Wohlstand sind. Die EU ist besorgt über die wachsenden Spannungen in der Taiwanstraße und lehnt jedwede unilateralen Versuche ab, den Status quo zu verändern.
Die deutsche Gratulationsetikette verzichtet ebenso darauf, Wahlsieger und Amt beim Namen zu ändern, wiegt diese Inhaltsleere aber mit gewohntem Wortreichtum auf.
Die freien und friedlichen Wahlen in Taiwan haben erneut gezeigt, wie stark die Demokratie in Taiwan verwurzelt ist und wie sehr die Wählerinnen und Wähler mit demokratischen Werten verbunden sind. Wir gratulieren allen Wählerinnen und Wählern, den Kandidatinnen und Kandidaten, die an diesen Wahlen teilgenommen haben, sowie den Gewählten.
Deutschland unterhält in vielen Bereichen enge und gute Beziehungen mit Taiwan und möchte diese, im Einklang mit der deutschen Ein-China-Politik, weiter ausbauen.
Frieden und Stabilität in der Straße von Taiwan sind von entscheidender Bedeutung für die Region und weit darüber hinaus. Deutschland setzt sich für den Erhalt des Status quo und Vertrauensbildung ein. Eine Änderung des Status quo darf nur friedlich und in gegenseitigem Einvernehmen erfolgen. Wir hoffen, dass beide Seiten ihre Bemühungen zur Wiederaufnahme eines Dialogs weiter vorantreiben.
Mit solchen Erklärungen legt man sich nicht weiter ins Zeug, und auch China ignorierte sie geschmeidig. Tsai Yingwen hat in ihrer achtjährigen Amtszeit übrigens immer wieder betont, dass sie für einen Dialog mit China jederzeit zur Verfügung stehe.
Die anmaßenden Drei
Dann gibt es auch die Anmaßenden, die noch viel lernen müssen auf der Parteischule. Der Außenminister der USA, Anthony Blinken, sagte in einem Statement „[d]ie USA gratulieren Dr. Lai Ching-te zu seinem Sieg bei den taiwanischen Präsidentschaftswahlen. Und weiter:
Wir freuen uns darauf, mit Dr. Lai und allen Parteiführern Taiwans zusammenzuarbeiten um unsere gemeinsamen Interessen und Werte zu befördern und unsere langjährigen inoffiziellen Beziehungen fortzuführen, im Einklang mit der Ein China Politik der USA und dem Taiwan Relations Act, der drei Gemeinsamen Erklärungen (Joint Comuniques) , and den Sechs Absicherungen (Six Assurances).
Japans Außenminister gratulierte Taiwan zum geschmeidigen Ablauf der demokratischen Wahlen und auch Lai zu seinem Sieg bei den taiwanischen Präsidentschaftswahlen. Kamikawa sagte, Japans Regierung wird darauf hinarbeiten, die Zusammenarbeit und den Austausch mit Taiwan zu vertiefen, auf Grundlage der Erhaltung der Arbeitsbeziehungen auf inoffizieller Basis.
Australien, ein wichtiger Akteur in der Sicherheitspolitik der Region, beglückwünscht Dr. Lai Ching-te zu seinem Sieg bei den Wahlen in Taiwan am 13. Januar. Australien beglückwünschte das taiwanische Volk zur friedvollen Praxis demokratischer Rechte. Die reibungslose Durchführung der Wahlen belegt die Reife und Stärke von Taiwans Demokratie.
Diese drei Staaten führen gemeinsame Manöver in der Region durch und sind Taiwans wichtigste Sicherheitspartner. Indien macht den sogenannten Quadrilateral Security Dialogue (QSD), oder in kurz, Quad, vollständig, ist aber ein eher passives Mitglied.
Indien, immer nach allen Seiten offen und das I in BRICS, hat sich korrekt verhalten.
Wie hat China auf das Glückwunschschreiben der USA reagiert? Die Sprecherin des Außenamtes der Volksrepublik betonte, dass die „Wahlen in Taiwan eine Angelegenheit einer Region in China“ sind. China lehne „jedwede Form von offizieller Interaktion mit Taiwan“ und ein „Einmischen in Angelegenheiten Taiwans“ ab.
Die Pflichtschuldigen
Taiwan hat auch noch einige diplomatische Alliierte. Hier finden sie die stets aktuell gehaltene Liste. Das sind Staaten, die die Republik China, also Taiwan, diplomatisch anerkennen, und nicht die Volksrepublik. Dazu gehören vor allem kleine pazifische Inselstaaten und ein paar zentralamerikanische Staaten wie Paraguay, Belize und Guatemala. Die Staaten profitieren von taiwanischer Entwicklungshilfe, im Gegenzug unterstützen sie Taiwan diplomatisch und werden zum Beispiel auch in meinen Kursen an der Tamkang Universität ausgebildet. Grundsätzlich übermitteln diese Staaten offizielle Glückwunschbotschaften, außer China hat sich wieder einmal etwas Besonderes ausgedacht: Nur ein oder zwei Tage nach den Wahlen hat Nauru, einer der letzten 12 diplomatischen Alliierten Taiwans die Seiten gewechselt. Schnippschnapp, da waren es nur noch zwölf.
Vom Troublemaker zum Umfaller
China beansprucht Seegebiet der Philippinen und untermauert dies mit künstlich aufgeschütteten Inselchen und militärischen Manövern, die das Leben der philippinischen Küstenwache aufs Spiel setzen. Neben Wasserwerfern, die Fischerboote zum Kentern bringen können, setzten die Chinesen auch gefährliche Laserstrahlen ein, um ihren Ansprüchen Geltung zu verschaffen.
Und nun hat sich der philippinische Präsident Marcos im Namen des philippinischen Volkes dem „gewählten Präsidenten Lai-Ching-te“ zu seiner Wahl als nächster Präsident Taiwans“ gratuliert, und gab dies auf X, vormals Twitter, kund.
Darauf ließ China den Botschafter der Philippinen in Peking einbestellen, um ihn an das Ein-China-Prinzip zu erinnern. Eine Sprecherin des chinesischen Außenamtes, Mao Ning, hat vor Reportern erklärt, dass Marcos‘ Bemerkungen „den politischen Zusagen der Philippinen gegenüber China einen schweren Schaden zugeführt haben und sich rüde in die internen Angelegenheiten Chinas eingemischt haben“.
Mittlerweile sind die Philippinen unter Marcos aber zurückgerudert und wurden von der Sprecherin des Außenamts, Mao Ning, wie oben gesehen, gewürdigt.
Die außer Konkurrenz laufenden
Es gibt zahlreiche Nichtregierungsorganisationen und deren Vertreter, die Taiwan und dem neu gewählten Präsidenten direkt gratulieren. Dazu gehören zum Beispiel der Dalai Lama, die American Chamber of Commerce in Taiwan, oder auch der Weltkongress der Uiguren.
Ob den Deutschen bewusst ist, dass den Taiwanern eher ein Schicksal wie den Tibetern oder Uiguren als den Hongkongern drohen würde, falls China Taiwan angreifen und übernehmen sollte?