EU Taiwan Beziehungen und Parlamentsdiplomatie
Von Reinhard Biedermann
Die Beziehungen zwischen der Europäischen Union und Taiwan sind seit Jahren ein diplomatisches Spannungsfeld – eingeklemmt zwischen Bekenntnissen zu Demokratie und Rechtsstaatlichkeit einerseits und den wirtschaftlichen sowie geopolitischen Interessen gegenüber China andererseits. Inmitten dieses Dilemmas hat sich das Europäische Parlament (EP) als treibende Kraft für eine wertebasierte Taiwan-Politik etabliert. Mein kürzlich in Political Research Exchange erschienener Artikel zeigt, wie parlamentarische Diplomatie nicht nur symbolisch wirkt, sondern konkret zur Ausgestaltung der EU-Außenpolitik gegenüber Taiwan beiträgt.
Parlamentarische Diplomatie – mehr als nur Worte
Parlamentarische Diplomatie bezeichnet die Aktivitäten von Parlamenten und einzelnen Abgeordneten, die außenpolitisch wirksam werden – etwa durch Resolutionen, Reisen, Hearings oder institutionelle Kontakte. Während diplomatische Entscheidungen formal bei den Regierungen und EU-Institutionen wie dem Europäischen Auswärtigen Dienst (EAD) liegen, entfaltet das EP informelle, aber wirksame Wirkungsmacht. Es setzt Themen, verschiebt Debatten und erzeugt politischen Druck.
Besonders auffällig ist dabei die Taiwan-Politik. Seit 2021 hat das EP mehrere weitreichende Resolutionen verabschiedet, darunter den Bericht über EU-Taiwan-Beziehungen (2021) und eine Entschließung zur Kooperation im Indopazifik(2022), die erstmals ausdrücklich einen bilateralen Investitionspakt fordern. Dies ist diplomatisch brisant, da die EU offiziell an der „Ein-China-Politik“ festhält.
Theoriegeleitetes Vorgehen: Cross-Loading und Normdiffusion
Der Artikel zeigt, dass diese Aktivitäten nicht zufällig oder rein symbolisch sind, sondern einem erkennbaren Muster folgen, das sich theoretisch erklären lässt. Zentrale Konzepte dabei sind:
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Cross-loading: Parlamentarische Impulse wirken auf andere EU-Institutionen über, beeinflussen deren Agenda oder Sprache.
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Normdiffusion: Demokratische Normen – wie Transparenz, Menschenrechte oder Parlamentssouveränität – werden durch das EP aktiv in internationale Beziehungen eingespeist.
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Institutionelles Signaling: Auch ohne offizielle Kompetenzen signalisiert das Parlament durch seine Taiwan-Berichte eine Werteorientierung und einen Willen zur Handlungsbereitschaft.
Diese Prozesse konnte ich anhand von Textanalysen und institutionellen Dokumenten rekonstruieren – das EP wirkt nicht isoliert, sondern ist Teil eines strategischen Zusammenspiels, in dem es Einfluss auf Rat, Kommission und EAD ausübt.
Der Taiwan-Faktor: Warum das EP hier besonders aktiv ist
Taiwan eignet sich aus mehreren Gründen besonders gut für parlamentarisches Engagement:
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Demokratie und Rechtsstaatlichkeit – Taiwan entspricht in vielerlei Hinsicht dem normativen Selbstverständnis der EU.
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Geopolitische Sensibilität – Als möglicher Krisenherd im Indopazifik und Schlüsselakteur bei Halbleitern ist Taiwan strategisch relevant.
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Fehlende diplomatische Beziehungen – Da die EU Taiwan nicht offiziell anerkennt, bietet das EP eine Bühne für Austausch, ohne formale diplomatische Verpflichtungen einzugehen.
Das Zusammenspiel von normativer Nähe und institutioneller Lücke führt zu einem paradoxen Ergebnis: Gerade weil die offizielle Außenpolitik vorsichtig bleibt, wird das EP umso aktiver.
Vom Papier zur Politik: Wirkung trotz Limitierungen
Kritiker könnten einwenden, dass Resolutionen keine Rechtsverbindlichkeit haben. Das stimmt – doch sie wirken auf anderen Ebenen:
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Sie setzen Agenda-Impulse, etwa wenn die Kommission Investitionsgespräche mit Taiwan ankündigt.
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Sie verändern die institutionelle Sprache, wie sich an der zunehmenden Verwendung des Begriffs „Partner“ im EU-Kontext ablesen lässt.
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Sie stärken Taiwans internationale Sichtbarkeit, etwa durch hochrangige Besuche von Abgeordneten in Taipeh.
Zudem stärkt das EP die Position von Mitgliedstaaten, die sich aktiv für Taiwan engagieren – etwa Litauen, Tschechien oder die Niederlande – und baut damit einen Wertekoalition innerhalb der EU auf.
Fazit: Werte, Stimme und Wirkung
Parlamentarische Diplomatie ist kein Ersatz für formale Außenpolitik, aber sie ist ein machtvoller Resonanzraum, gerade wenn es um sensible Themen wie Taiwan geht. Der Fall zeigt, dass das Europäische Parlament nicht nur beobachtet oder kommentiert, sondern aktiv mitgestaltet – und das oft deutlich schneller und mutiger als andere EU-Organe.
Der Artikel unterstreicht die Notwendigkeit, parlamentarische Außenpolitik als eigenständiges Feld ernst zu nehmen– besonders in einer Welt, in der normative Koalitionen und strategische Ambiguität zunehmend die klassische Diplomatie herausfordern.
Literaturhinweis:
Biedermann, Reinhard (2025). From resolutions to action: how parliamentary diplomacy shapes EU foreign policy towards Taiwan. Political Research Exchange, 7(1). https://doi.org/10.1080/2474736X.2025.2528432
