Taiwan streckt die Hand nach China aus

Am 10. Oktober wurde wie jedes Jahr Taiwans Nationalfeiertag begangen, oder besser gesagt: Der Nationalfeiertag der Republik China (中華民國, zhonghuaminguo), die 1912 in Nanking ausgerufen wurde und seit 1949 nur noch auf Taiwan besteht. Ein fast dreistündiges buntes Programm am Präsidentenpalast zwischen neun und zwölf Uhr morgens fand mit einer halbstündigen Rede des Präsidenten Lai Ching-te gegen 10 Uhr 15 seinen Höhepunkt.
Nachfolgend werden zentrale Inhalte der Rede Lais bezüglich des Konflikts in der Taiwanstraße wiedergegeben sowie die Reaktion Chinas. Der Artikel schließt mit einer Einordnung und Einschätzung der außenpolitischen Strategie Taiwans ab.
Klare Rede, keine größeren Überraschungen

Lai betont zu Beginn seiner Rede, dass die Republik China in Taiwan seit 1949 Wurzeln geschlagen hat, womit er indirekt der Nationalchinesischen Partei KMT widerspricht, die die Wurzeln Taiwans und der Republik China immer noch in China sieht. So erinnert er zu Beginn auch an die Schacht von Guningtou (um die China vorgelagerte Insel Kinmen: für die Volksrepublik damals eine vergleichbare Blamage wie die amerikanische Schweinebuchtinvasion Kubas) vor 75 Jahren (1949), sowie an die Artillerieschlacht vor 66 Jahren. Gemeinsam hätten Taiwaner und noch nicht lange nach Taiwan geflüchtete Festlandschinesen „Taiwan, Penhghu, Jinmen und Matsu“ und die Republik China verteidigt.

Insgesamt legt dies die Grundbotschaft seiner Rede, denn er betont, wie sich die Taiwaner immer wieder gemeinsam Herausforderungen stellen mussten, die sie trotz ihrer diversen Hintergründe zusammenschweißten, und er daran arbeiten möchte, dass dies auch in Zukunft so bleibt. Damit macht er klar, dass er die Zukunft Taiwans auch weiterhin als selbständiges Land sieht.
In diesem Sinne betont und wiederholt Präsident Lai seine vor Kurzem getätigten Aussagen:
„Es besteht kein Über-Unterordnungsverhältnis zwischen der Republik China und der Volksrepublik China“
„Die Volksrepublik China hat nicht das Recht, Taiwan zu vertreten“.
Lai versprach, einer Annexion und Eingriffen in „unsere Souveränität zu widerstehen“. Dazu schlug er einen Vier-Pfeiler-Friedensaktionsplan vor, der wie folgt lautet:
- Stärkung der nationalen Verteidigung
- Seite an Seite stehen mit demokratischen Ländern
- gemeinsame Abschreckung
- den Frieden durch Stärke sichern

Präsident Lai streckt China die Hand zur Zusammenarbeit aus
„Wir sind bereit, gemeinsam mit China den Klimawandel und gegen Infektionskrankheiten anzugehen, und wollen die regionale Sicherheit für Frieden und Wohlstand zum Gemeinwohl der Menschen auf beiden Seiten der Taiwanstraße erhalten.“
Lai benennt auch Divergenzen in der taiwanischen Gesellschaft und Politik, derer er sich annehmen möchte, und erarbeitet einen Grundkonsens.
Unabhängig davon, wie wir unsere Nation nennen – Republik China; Taiwan; oder die Republik China Taiwan (中華民國台灣, zhonghuaminguotaiwan) wir alle teilen gemeinsame Überzeugungen:
- Unsere bleibende Entschlossenheit, die nationale Souveränität zu verteidigen
- Unsere bleibenden Anstrengungen, den Status Quo für Frieden und Stabilität zu erhalten
- Unser beständiges Bestreben für Gleichheit und Würde und eines gesunden und geordneten Dialogs und Austauschs zwischen beiden Seiten der Straße
- Unsere Entschlossenheit, von einer Generation zur nächsten, unsere freie und demokratische Art zu leben zu schützen.
Mit Macht und Mythen gegen den internationalen Taiwanstraßen-Konsens
Im Rahmen der regelmäßigen Pressekonferenz hat am Tage des 10. Oktobers die Sprechern des Außenamts Chinas, Mao Ning, auf eine Frage der AFP Agentur reagiert, die folgendermaßen wortwörtlich formuliert war:
„Der Führer der Region Taiwan Lai Ching-te hat heute eine Rede gehalten, in der er betonte, dass es keine ‚Annexion oder Eingriffe‘ in die taiwanische Souveränität geben dürfe. Was ist Chinas Kommentar dazu?“
Aus Sicht der Kommunistischen Partei Chinas würden Lai Ching-te’s Worte versuchen, die historischen Verbindungen zwischen beiden Seiten der Taiwanstraße zu trennen.
Die Sprecherin führt weiter aus:
Wieder verwendet er verschiedene Variationen des „Unabhängiges Taiwan“- Narrativ, wie jenes das „China und Taiwan nicht in einem Über/Unterordnungsverhältnis stehen würden und „Taiwan habe Souveränität“. Er zeigte einmal mehr, dass er fest entschlossen ist, die „Unabhängigkeit Taiwans“ voranzutreiben, und dass er aus egoistischen politischen Interessen die böse Absicht hegt, die Spannungen in der Taiwanstraße zu verschärfen.
Es gibt nur ein China auf der Welt. Taiwan ist ein unveräußerlicher Teil des chinesischen Territoriums. Die Regierung der Volksrepublik China ist die einzige rechtmäßige Regierung, die ganz China vertritt. Ganz gleich, was sie sagen oder tun, die Behörden von Lai Ching-te können nichts an der Tatsache ändern, dass beide Seiten der Taiwanstraße zu ein und demselben China gehören, oder den historischen Trend stoppen, dass China die Wiedervereinigung erreichen wird und muss. Der Versuch, Unabhängigkeit anzustreben und Provokationen zu machen, wird nirgendwohin führen. Das Ein-China-Prinzip ist eine Grundnorm in den internationalen Beziehungen und ein vorherrschender internationaler Konsens. Taiwan war nie ein Land und wird auch nie ein Land sein und verfügt daher über keine sogenannte Souveränität. Die Wahrung des Ein-China-Prinzips, die Ablehnung der „Unabhängigkeit Taiwans“ und die Ablehnung von „zwei Chinas“ und „ein China, ein Taiwan“ ist unsere konsequente Haltung zum externen Austausch und zur Teilnahme an internationalen Aktivitäten der Region Taiwan.
Soweit die Sprecherin des chinesischen Außenministeriums.
Das Ein-China-Prinzip ist kein internationaler Konsens
Hier soll nicht weiter ins Detail gegangen werden, denn die Ausführungen sprechen für sich. Eines sollte jedoch gerade gerückt werden.
Das so genannte „Ein-China-Prinzip“ ist kein internationaler Konsens und keine Grundnorm in den internationalen Beziehungen.
In Europa erkennt lediglich Serbien das Ein-China-Prinzip an, so geschehen im Mai des Jahres 2024. Hier ist die Reaktion Taiwans.
Lai spielte in seiner Rede und seinen zentralen Botschaften auf die UN-Resolution 2758 an, die 1971 die Republik China, genauer gesagt das nationalistische Chiang Kai-Schek Regime auf Taiwan, aus den Vereinten Nationen kippte und sie mit der Volksrepublik der Kommunisten ersetzte.
Um mehr ging es damals nicht, und schon gar nicht darum, ob Taiwan ein Teil Chinas ist, wie die Volksrepublik stets behauptet. Denn Taiwan wird in dieser Resolution nicht einmal erwähnt.
Es besteht internationaler Konsens darüber, dass die Volksrepublik der alleinige rechtmäßige Vertreter Chinas in den Vereinten Nationen ist. Das ist die Position Deutschlands zur Ein-China-Politik auf Grundlage der besagten UN-Resolution.
Internationaler Konsens ist, das der Konflikt friedlich beigelegt werden muss und der Konflikt nicht allein die Sache Chinas ist.
Die konfrontative Haltung Chinas lässt Taiwan jedoch kaum Spielraum. Also setzt Taiwan mit Präsident Lai an der Spitze einen strategischen Wandel fort, indem es sich mehr als je zuvor als ein globaler Bewirtschafter öffentlicher Güter präsentiert.
Taiwans strategischer Wandel
Es tritt nicht mehr in einen Wettbewerb um diplomatische Alliierte ein, sondern betont seine informelle Bedeutung im Rahmen von Global Governance und in der Bereitstellung globaler öffentlicher Güter.
Es geht dabei nicht nur um Halbleiter für westliche und die Industrien der „gleichgesinnten“ Wertepartner.

Schutz von Demokratie und Demokratieförderung, Freiheit, die Herrschaft des Rechts, digitale Dienste, regionale Sicherheit, Klimaschutz und moderne Technologien, und der Schutz gegen weltweite Infektionen sind Themen, in die sich Taiwan als wichtiger Akteur in der Güterbewirtschaftung einbringen möchte.
Wie taiwanische Politikprofessoren die Rede Lais einstufen, ist hier zu lesen.
Zu den Nationalfeierlichkeiten hat auch „unser“ Taiwanreporter Klaus Bardenhagen für das Handelsblatt (Text hier) geschrieben, der so freundlich war, mir einen Eintrittspass für die Feierlichkeiten mitzubesorgen.
Taiwan feiert, China feuert
Am 14, Oktober begann, wie erwartet, das Militärmanöver der Kommunisten „Joint Sword-2024B“ als Nachfolgemanöver zu „A“ vom Mai diesen Jahres. Taiwans Verteidigungsministerium bezeichnet das Manöver als „irrational“ und „provokant“.
