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Berlin sollte Peking in Putins Krieg ignorieren

Mit Strategemen China entschlüsseln

Verschiedentlich äußern Stimmen aus Politik, Medien und Think Tanks den Gedanken, nur China könnte Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine stoppen. Deshalb sollte Berlin auf Peking einwirken.

Könnte China Putins Krieg stoppen? Ist China unverzichtbar, um Russland wirtschaftlich zu isolieren und die Sanktionen durchzusetzen? Sollte demnach Deutschland sein wirtschaftliches, und seit der denkwürdigen Regierungserklärung von Bundeskanzler Olaf Scholz am 27. Februar 2022 mit der Ankündigung von außerordentlichen Rüstungsinvestitionen über 100 Mrd. Euro und allgemein höheren Rüstungsausgaben auch fühlbar gestiegenes internationales politisches Prestige dafür einsetzen, Moskau über Peking in einem Bandenspiel zur Raison zu bringen?

In einem strategischen Beitrag in der FAZ heißt es:“Der Weg nach Moskau führt über Peking. Nur zusammen mit China kann Russland isoliert werden. Deshalb muss die Bundesregierung alles daran setzen, mit Peking ins Gespräch zu kommen“.

Aus verschiedenen Gründen ist dies strategisch jedoch ein unkluger Ansatz. Grundsätzlich kommt er aus der Putin-freundlichen Schröder-Merkel-Steinmeier-Ära, die mit der Waffenlieferung an die Ukraine und der Regierungserklärung von Scholz plötzlich und unerwartet zu Grabe getragen wurde.

Er lässt zudem Deutschland und den Westen, ausgerechnet in einer Zeit lange nicht gesehener Einigkeit und Stärke, schwach erscheinen und dient damit chinesischen propagandistischen Narrativen.

Die 36 Strategeme und der Krieg Putins

Die 36 Strategeme sind Kriegslisten aus dem alten China, die unter anderem auf dem auch im Westen bekannten Sunzi zurückgehen (siehe Harro von Senger, Quellenangabe unten). Kriegslisten zu durchschauen und vor allem selbst erfolgreich anzuwenden kann für die schwächere Seite in einem Konflikt überlebenswichtig sein. Die folgende Analyse nutzt die Strategeme um Politikempfehlungen für die deutsche Krisenpolitik in Putins Krieg zu entwickeln. Die Kriegslisten sind im Original stets sehr kurz und benötigen keine langen Erklärungen. Wichtig ist das Verständnis derselben und die passende Anwendung. Diese Analyse ist davon überzeugt, dass die NATO-Strategen und Politikberater falsch liegen, wenn sie davon ausgehen, dass der Schlüssel für die Beilegung des Krieges in China liegt.

Stattdessen sollte Deutschland in drei strategischen Einzelspielen China erstens das Brennholz unter dem Kessel wegziehen, zweitens das Wasser trüben, und drittens den ausgeruhten Feind erwarten, um das Schaf von der Weide zu führen.

Diese drei Schritte ergeben sich als plausible Antwort auf die Informationen, die wir über die chinesische Strategie im Putin-Krieg und die westlichen Sanktionen gegen Russland haben. Denn um die Strategeme effektiv in der Praxis einzusetzen, muss man die chinesischen Positionen richtig interpretieren.

Soll sich Deutschland mit einem fernen Feind verbünden, um einen nahen Feind anzugreifen (Strategem 23)?

Die Annahme, Deutschland und die EU sollten bei Generalsekretär Xi Jinping ihre Aufwartung machen um chinesischen Druck auf Putin zu erwirken, entspricht dem Strategem 23. In dem FAZ-Artikel heißt es:

„Schließlich muss im Zeitalter einer multipolaren Weltordnung und eines eskalierenden Kriegs mitten in Europa Krisenpolitik oftmals kühn und kühl über die Bande gespielt werden“.

Die Staatspropaganda würde ein Bandenspiel in den chinesischen Medien als westliche Schwäche ausspielen (etwa: „Der Westen erkennt seine Fehler an und ruft China um Hilfe“). Es würde Vorurteile über die Schwäche und politische Irrelavanz Europas in China bestätigen.

Die strategemgeschulten Chinesen erkennen im Bandenspiel sofort das Strategem 23, was es für den Westen nicht besser macht. Denn Dank chinesischer Propaganda gehen Chinesen ohnehin davon aus, das der Westen Russland und China feindlich gegenüber steht.

Zudem würde dies ausgerechnet während einer fundamentalen Krise der Weltordnung geschehen, in der der Westen so geeint ist wie seit vielen Jahrzehnten nicht mehr. Es ist schwer zu sagen, was Potentaten wie Putin und Xi beeindruckt. Aber es könnte ja durchaus sein, dass die westliche Geschlossenheit gegenüber Putin und Deutschlands Ankunft in der Realität internationaler Politik nach der der lähmend-naiven außenpolitischen Ära Schröder-Steinmeier-Merkel genau dies tut: beeindrucken. Berlin sollte diese Chance nicht verstreichen lassen.

Mit welchen Gegenleistungen müsste Berlin aufwarten?

Im FAZ-Artikel heißt es zurecht: „Peking wird seinen Einfluss auf Putin nicht ohne Gegenleistungen der Europäer geltend machen. Deshalb sollte die Bundesregierung mit den europäischen Partnern eruieren, was China angeboten werden kann.“

Etwas anbieten, nur um das offensichtlich Gebotene zu fordern, nämlich unverzüglich einen Angriffskrieg auf ein souveränes Land zu beenden?

Soll das EU-Parlament das Investitionsabkommen mit China ratifizieren, das wegen der menschenrechtsverachtenden Umerziehungslager für Muslime in Xinjiang von selbigem aufs Eis gelegt wurde?

Willigt die EU ein, auf die Unterstützung von Taiwans angestrebter „meaningful international participation“ zu verzichten, während China regelmäßig Militärflugzeuge in die taiwanische Luftraumüberwachungszone schickt?

Soll Deutschland keine Fregatten mehr nach Asien-Pazifik schicken und auf sicherheitspolitische Kommentare verzichten?

Sollen Deutschland und die EU Litauen maßregeln und sanktionieren, weil es Taiwan erlaubte, ein „Taiwan Representative Office in Lithuania“ zu eröffnen? China drohte bereits deutsche Unternehmen zu sanktionieren, die in Litauen produzieren lassen. Dies wäre eine Missbilligung zahlreicher internationaler Rechtsprinzipien im Handelsrecht.

Soll die EU ihren neuen Investment-Screening Mechanismus für chinesische Unternehmen aussetzen, auf europaweite Huawei-Zulassung drängen, oder Chinas Market Economy Status anerkennen? Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen – es sind keine attraktiven Optionen dabei!

Von den Thinktank-Experten kommen dazu bezeichnenderweise auch keine Vorschläge.

Ein Bandenspiel wäre das Gegenteil von kühn und kühl. Es wäre entlarvend und panisch. Zweitens, und das ist fundamental, geht diese Strategie von falschen Annahmen über Chinas Strategie in diesem Krieg aus.

Denn Generalsekretär Xis Ermahnungen gegenüber Putin zum Frieden und zu friedlicher Beilegung von Konflikten, zu nationaler Souveränität und territorialer Integrität ist die Standardrhetorik eines gewieften Strategen und Kenners der 36 Strategeme. Westliche Geheimdienste gehen sogar davon aus, das Putin Xi bei der Winterolympiade in Peking von seinen mörderischen Plänen einweihte.

China beobachtet die Feuersbrunst am anderen Ufer (Strategem 9)

Mit einer historisch großen Mehrheit hat die UN-Vollversammlung in einer Dringlichkeitssitzung den russischen Angriff auf die Ukraine verurteilt. Am 3. März 2022 stimmten 141 Staaten in New York für eine Resolution, die den Abzug aller russischen Truppen aus dem Nachbarland fordert. 35 Länder enthielten sich, 5 lehnten den Textentwurf ab.

Das ist einerseits überwältigend. Andererseits repräsentieren die sich enthaltenden Länder etwa die Hälfte der Weltbevölkerung.

Einerseits eine überwältigende UN-Resolution mit 141 Staaten gegen Russland- aber die sich enthaltenden Staaten repräsentieren wohl mindestens die Hälfte der Weltbevölkerung

Das Strategem 9 ist das Heraushalte- oder Neutralitätsstrategem. Diese wenden Politiker und Staaten in Krisen an um zu warten, bis sich eine Situation zu eigenen Gunsten entwickelt hat. Denn Opportunisten warten auf den richtigen Moment, um dann zuzuschlagen, wenn die Ernte auf dem Präsentiertisch liegt. Der Beobachter ist jedoch nur solange neutral, wie er Fortune auf seiner Seite weiß.

China unterstützt nicht nur nicht die westlichen Sanktionen gegen Russland und wird sich auch nicht darauf einlassen. Im Gegenteil nutzt China diese, um Märkte in Russland für China auszubauen und Rohstoffe zu sichern. Diese könnte es noch günstiger entgegen der Preisenwicklung auf den Weltmärkten bekommen. Ein Sprecher des Außenministeriums in Peking erklärte „China und Russland setzen ihre normale Handelszusammenarbeit fort“ – Business as usual. Dies ist bemerkenswert vor dem Hintergrund des eindeutigen Votums in der Generalversammlung. Wie lange kann China das Votum der Weltgemeinschaft egal sein, wenn Putin den Krieg immer weiter entfesselt?

China betrachtet umgekehrt die westlichen Sanktionen als Bruch des Völkerrechts und befürchtet Verwerfungen an den Weltmärkten. In Preisverhandlungen hat China für sich selbst jedoch gegenüber Russland alle Trümpfe in der Hand.

Eine Feuersbrunst für einen Raub ausnutzen (Strategem 5 als „Unterstrategem“, das sogenannte Aasgeier-Strategen)

Innerhalb des 9. Strategems verfolgt China derzeit offensichtlich das Strategem 5. Chinas Anwendung des 9. Strategems findet erst sein Ende, wenn das 5. Strategem nicht mehr aufgeht und die Feuersbrunst erlischt. Wenn internationales Chaos auf den Weltmärkten ausbricht und die Rohstoffpreise nach oben schießen, kann sich China günstig im sanktionierten Reich Putins eindecken.

China wird sich zunächst kaum von diesem erfolgreichen Aasgeier-Strategem abbringen lassen. Ressourcenimporte aus Russland haben für China existenzielle Priorität (siehe Parteikongress 2022). China dürfte Einfuhren sogar erhöhen und Vorräte anlegen, Unkenrufen reduzierter chinesischer Importe zum Trotz. Pandemiebedingte Lieferkettenprobleme lassen Russland als Importeur noch wichtiger erscheinen.

Indes kehren immer mehr westliche Unternehmen Russland den Rücken. China springt in die Bresche. Insbesondere im Automarkt dürften chinesische Firmen weiter profitieren. China hofft, Deutschland Marktanteile und Investments abzunehmen, um, lang lang ist´s her, die Resterampe der fixen Idee des ehemaligen Außenministers Steinmeier von der Deutsch-Russischen Modernisierungspartnerschaft abzuräumen.

Jedoch: Das Aasgeier-Strategem geht nicht ewig gut und dürfte sich peu à peu gegen China selbst richten. Denn für China wichtige russisch-chinesische Projekte im Energiebereich sind auf westliche Technologie angewiesen. In vielen westlichen Disinvestments werden chinesische Akteure nicht so ohne weiteres einspringen können. Es fehlen die Ersatzteile und technologische Expertise. Um auch mittel-bis langfristig von den russischen Chaostagen zu profitieren, ist China auf Deutschland und Europa angewiesen, Russland sowieso. Warum also nicht ausgeruht den erschöpften Feind erwarten (Strategem 4)?

Irgendwann dürfte der mögliche Ausverkauf an China auch in der russischen Bevölkerung zu einem Umdenken führen. Vielleicht sogar bei Putin selbst, falls er dann noch nicht zum Teufel gejagt wurde. Denn es kann geopolitisch nicht in Russlands langfristigem Interesse sein, von China immer abhängiger zu werden.

Es stimmt  nicht, dass sich Russland nur mit China isolieren lässt

Deutschland und die EU sind sowohl für Russland als auch für China die wesentlich wichtigeren Wirtschaftspartner. Russlands grundsätzliche wirtschaftliche Schwäche (Russland als „Obervolta mit Atomwaffen“, Zitat Helmut Schmidt) bedeuten eine permanente strategische Schwäche der russisch-chinesischen Allianz. Daran ändern auch Xis und Putins Autokraten-Wohlfühl-Summits nichts.

Das Argument, nur im Zusammenspiel mit China ließen sich die Wirtschaftssanktionen gegen Russland wirksam durchsetzen, ist nicht richtig.

Bisher ist auch nicht bekannt, dass sich russische Oligarchen im großen Stil mit Prachtvillen auf der Insel Hainan oder in Hong Kong eindecken. Auch Putin-Freund Abramovitch hat seinen Blick auf den Buckingham Palace bisher nicht mit der Verbotenen Stadt in Peking eingetauscht. Und chinesische Pässe dürften für russische Oligarchen in etwa so attraktiv sein wie russische Pässe für hochrangige chinesische Parteibonzen.

Was Deutschland chinapolitisch tun sollte

Unter dem Kessel das Brennholz wegziehen (Strategem 19)

China betrachtet sich selbst als einen Vertreter der Weltgemeinschaft, der sich für die Interessen der armen und entrechteten Staaten gegen die amerikanische Hegemonie einsetzt. Die Vereinten Nationen und die sogenannten Emerging Markets sind eine wichtige Kraftbasis für Chinas Softpower. Das Kraftentzugsstrategem zeigt, wie man ein Problem längerfristig in den Griff bekommen kann, indem die Kraftbasis geschwächt wird.

Auch die Emerging Markets-Gruppe BRICS (Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika), der südostasiatische Staatenverbund ASEAN (wir befinden uns im von Chinas Premier Li Keqiang ausgerufenen China-ASEAN Diamentenjahrzehnt), sowie die Shanghai Cooperation Organisation (SCO) sind zentrale chinesische Elemente einer neuen Weltordnung.

Selbst in Chinas südostasiatischem Hinterhof, dem Staatenverbund ASEAN, stimmten acht von zehn Staaten für die UN-Resolution. Lediglich Vietnam und Laos enthielten sich der Stimme. Ironie: Vietnam ist Großabnehmer russischer Waffen, um sich gegen China im südchinesischen Meer zu behaupten. Laos ist eine zentrale Arena für Chinas Seidenstraße (Wasserkraft als Spaltpilz Indo-Chinas und ASEANs). Doch selbst Chinas gekaufte Diktatur Kambodscha stimmte „westlich“.

Entfaltet BRICS wenigstens Bindewirkung? Brasilien war das einzige Land, dass für eine Verurteilung Russlands stimmte. Südafrikas Enthaltung entsprang innenpolitischen Konflikten. Indien hat traditionell enge Beziehungen mit Russland und vertritt seit jeher originelle geopolitische Ansichten. BRICS, einst als antiwestliche Wirtschaftsorganisation gegründet, ist ohnehin erledigt.

Die SCO ist ein obskurer Klub autoritärer Führer, der einst als Anti-NATO gegründet wurde. Postsowjetische Mitgliedsstaaten wie Kasachstan, Kirgisien und Tadschikistan enthielten sich zwar ebenso wie China einem Votum – allerdings aus purer Angst vor einem russischen Einmarsch. Usbekistan stimmte gar nicht erst ab.

China in kniffliger Lage

Allerdings: Nur China hat handfeste strategische Gründe, Russland mit seiner vermeintlichen Neutralität zur Seite zu stehen, während die Weltgemeinschaft Russland das Feuer unter dem Kessel entzieht. China erntet für seine Position mehr Unverständnis als andere Staaten, die sich einem Votum enthalten. Auch China wird also das Feuer unter dem Kessel weggezogen. Aus dieser Gruppe hat nur China die Macht, auf Russland Einfluss auszuüben.

Unterstrategem 12: Trend verstärken und mit leichter Hand das Schaf wegführen

Bei diesem Strategem handelt es sich um die allseitige psychologische Bereitschaft, Chancen im richtigen Moment zu ergreifen.

Wenn die Flüchtlingszahlen aus der Ukraine weiter steigen, Russlands Kriegsverbrechen die Medienmeldungen bestimmen, und immer mehr Staaten Russland diplomatisch verurteilen, ist China das erste Land in der Gruppe der sich enthaltenden Staaten, auf die alle Finger zeigen. Auch in Kiev eingeschlossene chinesische Staatsbürger könnten für die chinesische Propaganda unschöne Meldungen verbreiten.

Deutschland und die EU könnten diesen weltpolitischen Trend verstärken und die Gruppe der neutralen Staaten (vor allem Indien, Vietnam und Südafrika) bearbeiten, ohne China zu berücksichtigen.

Das Aasgeier-Strategem zugunsten Chinas kommt notgedrungen zum Ende, während Strategem 19 zuungunsten Chinas erstarkt (Chinas widersprüchliche Argumentation, etc.). Deutschland sollte auf Anwendung des Strategems 23 verzichten (Bandenspiel) und stattdessen alles unternehmen um Strategem 19 zu befördern.

Es kann durchaus sein, das der internationale und innergesellschaftliche Druck auf China steigt, wenn die Widersprüche in Pekings Argumentation zu groß werden. Dann sollten Deutschland und die EU bereit sein, das über den Weg laufende Schaf geistesgegenwärtig wegzuführen.

Das Wasser trüben, um die Fische zu fangen (Strategem 20)

Die Autoren des FAZ-Artikels schreiben zurecht „[D]urch den Konflikt steht auch Chinas Seidenstraßenprojekt auf dem Spiel“.

Darin liegt strategisch eine Chance. Das Strategem des Stiftens, des Ausnutzens von Unklarheit, Unordnung und Verwirrung oder Chaos-Strategem sollte Deutschland und die EU bei der kontinentalen Seidenstraße anwenden.

Es geht nicht darum, die Eisenbahnverbindung zwischen Chongqing und Duisburg stillzulegen. Das würde auch Deutschland schaden in einem bereits global pandemiegeplagten Lieferkettenumfeld. Aber allein die Diskussion darüber, welche Sanktionen noch gegenüber Russland möglich sind, oder welche Risiken bestehen, wenn deutsche Lieferketten weiterhin über das russische Territorium organisiert werden, dürften in China Unruhe stiften.

Ohnehin vertreten immer mehr Ökonomen die Ansicht, dass Globalisierung und grenzenloser Handelsverkehr nicht nur Wohlstandsgewinne bringen, sondern auch Umweltzerstörung und strukturelle Arbeitslosigkeit bei schlecht ausgebildeten Menschen in reichen Ländern. Globalisierung verstärkt auch politische Konflikte, wenn manche Staaten nur Fußbälle und Tennisnetze nähen, und andere hochmoderne Waffen herstellen.

Putin konnte die Globalisierung nutzen, indem der Rentierstaat Russland zu Putins Machterhalt Oligarchen vergüten und das Militär erneuern konnte.

Wie auch immer man handelstheoretisch zur Globalisierung steht: Klar ist, dass China von Globalisierung und der Seidenstraßeninitiative am meisten profitiert. Auch in China geht ein wachsender Anteil der Profite in die chinesische Rüstung und das Militär, das alsbald die Südchinesische See beherrschen und Taiwan heim ins Reich holen soll.

Ja, auch Deutschland hat von Chinas Wachstum in den letzten Jahrzehnten stark profitiert. Inzwischen betrachtet die deutsche Industrie China jedoch auch als einen strategischen Wettbewerber. Der Unmut über Chinas Praktiken wird in hohen Bürozimmertürmen immer größer. Diversifizierung ist das Stichwort.

Kontinentalsperre versus Seidenstraße

Was wäre wenn Hinterbänkler*innen des Bundestages aus verschiedenen Parteien, Mitglieder des China-Ausschusses des Europäischen Parlaments, Medienschaffende, deutsche Diplomaten im Ruhestand oder sogar Spitzenmanager kritische Meinungen über die Seidenstraße lancieren um für ein bischen Unruhe in Peking zu sorgen?

Wirtschaftsminister Habeck könnte sich dann bei Slomka im Heute-Journal bemüßigt fühlen darzulegen, dass zu Russland „Niemand“ eine eurasische Mauer bauen möchte, man möchte ja schließlich nicht China treffen. Allein das dürfte für ein gerüttelt Maß an Unruhe in Zhongnanhai sorgen.

Französische Wareninspektion in Leipzig. Manche Wirtschaftshistoriker meinen, die Kontinentalsperre habe zur Industrialisierung Deutschlands beigetragen.

Es soll hier nicht einer Kontinentalsperre à la Napoleon gegen das British Empire das Wort geredet werden. Ohnehin ist die Weltwirtschaft heute eine ganz andere als zu dessen Zeiten. Aber eben auch eine andere als zu den Zeiten von Adam Smith, David Ricardo und Heckscher-Ohlin. Der eurasische Supercontinent wurde schließlich von Russland infrage gestellt, nicht von Deutschland. Das dürfte China wohl auch so sehen. Also: Let’s argue.

Ausgeruht den erschöpften Feind erwarten (Strategem 4)

Wie gezeigt, besteht für Deutschland und die EU strategisch kein Grund, mit China über Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine ins Geschäft zu kommen. Es wäre sogar kontraproduktiv, weil es an Chinas gegenwärtiger Strategie nichts ändern würde. Dafür spricht, dass Xi wahrscheinlich von Putin über seine Pläne unterrichtet wurde, und dieser von Putin bis zum Ende der Olympischen Spiele Ruhe im olympischen Feuerkessel verlangte. Was für ein zynisches Machtspiel.

Oder war das etwa nur ein Gerücht, das die USA in die Welt setzten um China unter Druck zu setzen? Haben sie etwa das Strategem 7 (Aus einem Nichts etwas erzeugen) angewendet und einen Vorteilsgewinn durch Vorgaukeln eines Trugbildes gezogen? Falls das so wäre, sollte das eine gute Lektion für die deutsche Krisenpolitik sein.

Deutschland und die EU sollten sich chinapolitisch ausruhen und das Aussitzerstrategem anwenden. Denn die zynische Schröder- Steinmeier-Merkel-Ära (alle Gesprächskanäle offenhalten und auschließlich diplomatische Lösungen erwägen während geichzeitig Menschen abgeschlachtet werden) war in dem Moment vorbei, als der „Bundessicherheitsrat“ niederländischen Waffenlieferungen aus ehemaligen deutschen Beständen grünes Licht gab.

China, dessen außenpolitische Pubertät derzeit intensiv von der Welt beobachtet wird, sollte selbst einen Weg aus dem selbstverschuldeten drohenden Schlamassel finden. Das hinter den Kulissen Deutschland und China im Kontakt bleiben und etwaige Lösungsmöglichkeiten besprechen (selbstredend ohne deutsche Gegenleistungen) sollte nichts an den grundsätzlichen Strategiespielen ändern.

Quellenangaben: Die 36 Strategeme

Bei der kurzen Erklärung der angewendeten Strategeme bezieht sich der Autor auf folgendes Buch:

Harro von Senger (2006). Die Kunst der List. Strategeme durchschauen und anwenden. C.H.Beck

 

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