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Buchbesprechung

Michael Pillsbury: The Hundred Year Marathon

Michael Pillsburys Buch, „The Hundred-Year Marathon. China’s Secret Strategy to replace America as the Global Superpower“ ist bereits 2015 erschienen und hatte es auf die Bestseller-Liste der Washington Post an die Spitze geschafft. Auf Deutsch ist das Buch nicht erhältlich. Pillsbury hat laut eigener Aussage mehrere Jahrzehnte daran gearbeitet. Die zentrale These ist, dass China seit Jahrzehnten eine geheime aber klare außenpolitische Strategie verfolgt, um bis spätestens 2049, also 100 Jahre nach Gründung der Volksrepublik, die bestimmende Weltmacht zu werden. Alle anderen Nationen haben demzufolge die Ehre, sich der weisen Führerschaft der Kommunistischen Partei Chinas harmonisch „unter dem Himmel“ (Tianxa 天下) unterzuordnen, mit China im Zentrum. Dies ist im Wesentlichen der China- Traum (Zhongguo meng, 中国梦), im Westen oft falsch mit Chinesischer Traum übersetzt. In China hätten schon lange die Falken (yingpai, 鹰派) das Sagen, die einen schrittweise aggressiveren Kurs durchsetzen würden.

Aktuelle Brisanz

2015 hieß der US-Präsident noch Barrack Obama, und die USA-China Beziehungen waren – noch – geschmeidig, Hillary Clintons Pivot to Asia zum Trotz. Pillsbury war zu jener Zeit bereits jahrzehntelang fürs Pentagon und für den Geheimdienst in Sachen China unterwegs. Er war am konservativen Hudson-Institut Direktor des Zentrums für Chinesische Strategie. Doch Obamas Nachfolger im Weißen Haus wurde Donald Trump und dieser machte Pillsbury (the „leading authority on China“, so Trump), zu seinem China-Berater. Die South China Morning Post räsonierte 2018 darüber, inwiefern Pillsbury für den drastischen Schwenk in der amerikanischen Chinapolitik verantwortlich ist. Der Anteil Chinas an der Verschlechterung der Beziehungen wird dabei geflissentlich übergangen.

Als Pillsbury sein Buch veröffentlichte, war die Seidenstraßeninitiative noch nicht initiiert. Die Kommunistische Partei hat mit seiner Seidenstraßeninitiative jedoch vor, die Regeln des Welthandelssystems neu zu schreiben, während es gleichzeitig die wichtigsten im Rahmen der Welthandelsorganisation seit Jahrzehnten konsequent ignoriert. Im Südchinesischen Meer hat es einst rein friedliche Absichten bekundet, während es riesige Gebiete militarisch sukzessive in Besitz nahm. China hat angefangen, entlegene Gebiete wie die Arktis im Norden und den Weltraum zu militarisieren. Die Kommunistische Partei hat Hunderttausende von Muslimen in der Westprovinz Xinjiang in Umerziehungslager eingesperrt. Die Kommunisten erhöhen beständig die Bedrohungslage für das demokratische Taiwan, eine chinesische Modelldemokratie, im Osten. Die derzeitige weltweite Corona-Krise könnte schließlich sogar ein Brandbeschleuniger sein, der die Gewichte in der Weltpolitik noch schneller zugunsten Chinas verschiebt. Also nach da, wo die Gesundheitskrise ihren Ausgang nahm. Es gibt also gute Gründe, den Expansionsdrang Chinas kritisch zu sehen, selbst wenn man der aufstrebenden Macht größeren Einfluss in der Welt zugesteht.

Vom Panda-Kuschler zum Falken

2019, im vermutlich einzigen Beitrag in deutschen Medien zu Pillsbury, wurde er in der Tageszeitung Die Welt als „Intrigant mit bemerkenswerten Einluss auf Trump“ bezeichnet. Für Pillsbury würde dieses „Lob“ bestätigen, wie weit die Manipulation westlicher Medien durch die Kommunistische Partei bereits fortgeschritten ist. Dabei hat er sich selbst nie als „Falke“ betrachtet. Pillsbury hat seit Ende der 1960er Jahre in verschiedenen öffentlichen Ämtern im Senat, im Pentagon, im CIA und direkt für US-Regierungen von Nixon bis Trump als Verteidigungsberater gedient. Pillsbury war ein Unterhändler des Rapprochement zwischen den USA und China, das um 1970 einsetzte. Er war Unterhändler für zahlreiche geheime Militärabkommen mit China und unterstütze Waffenlieferungen sowie Technologietransfers und war stets davon überzeugt, dass China gegenüber den USA freundliche Absichten hegen würde. Wie viele Experten ging er davon aus, dass die schrittweise Öffnung und das hohe Wirtschaftswachstum schließlich auch zu einer wie auch immer gearteten Öffnung Chinas, innenpolitischer Reform, und eine Akzeptanz westlicher Institutionen und universaler Werte führen würde. Es hat sich selbst als „Panda-Hugger“ (Panda-Kuschler) gesehen. Warum er heute als einer der gefürchtetsten China-Falken gilt, erklärt sein Buch.

Frage nie nach den Kesselgewichten des Hegemons

Eine Legende aus der Periode der Streitenden Reiche vor rund 2000 Jahren erzählt die Geschichte des aufstrebenden Kriegsfürsten Chu, der den Hegemon Zhou, der sich jedoch im Niedergang befand, nach den Gewichten der Kessel in seinem Palast zu fragen. Zu jener Zeit hat die bestimmende Tianxia-Autorität die größten Kessel besessen. Wer nach jenen fragt, bekundet damit automatisch sein Interesse nach dem Griff zur Macht. Zhou wusste daraufhin, was der Kriegsfürst vorhat und konnte sich vorbereiten. Die Lehre daraus ist, dass Du deinem Gegner niemals offenbarst, sein Rivale zu sein. China hätte, so Pillsbury, in den letzten 40 Jahren seine wahren Absichten stets verhüllt und sich bescheiden gegeben. Während die Kommunistische Partei nach innen der eigenen Bevölkerung Amerikafeindlichkeit lehrt (siehe unten), wird nach außen Bewunderung bezeugt.

Die Falken haben das Ruder in der Hand

Pillsbury ist überzeugt, dass in China seit langem die außenpolitischen Falken (die besagten yingpais) des Militärs das Ruder übernommen haben und grundsätzlich USA-feindlich eingestellt sind. In chinesischen Schulbüchern würde zudem gelernt, dass die USA seit Präsident Tyler (Vorgänger von Präsident Lincoln) eine dezidiert China-feindliche Politik betreiben würden, was sich allerdings historisch nicht begründen ließe. China hingegen verfolgt eine klare außenpolitische Strategie, bis spätestens zum Jahr 2049 die USA als globale Supemacht abgelöst zu haben. Die Strategie Chinas fußt dabei einerseits auf klassischer chinesischer Kriegsphilosophie, und andererseits auf das Beispiel der Vereinigten Staaten. Die USA hätten, so wird es auf chinesischen Offiziersschulen gelernt, mit geschickter Isolationspolitik und außenpolitischer Zurückhaltung, Diebstahl geistigen Eigentums, Markteintrittsbeschränkungen, finanzpolitischer Stärke und dem richtigen Timing geschafft, das Vereinigte Königreich friedlich als führende Weltmacht abzulösen. Außenpolitische Zurückhaltung und Bescheidenheit ist dabei zentral, denn dies führe zu „Complacency“ (Wohlgefallen, Gleichmut) gegenüber China beim Gegner USA.

Entdecke die militärischen Schwächen des Hegemons

Auf absehbare Zeit ist China den USA in puncto „Power projection“, also Projektion von Macht, nicht gewachsen. Es würde auch keinen Sinn machen, die USA in den Bereichen, wo die USA stark sind, nämlich bei Militärbasen und -Allianzen sowie schwerem Gerät und deren Interoperalität, derzeit das Wasser reichen zu wollen. Da wären wir wieder bei den Kesselgewichten. Aus chinesischer Sicht ist es daher ratsam, erst einmal wirtschaftlich die USA zu überholen, bevor man es militärisch durchzieht. Es war nämlich, so lernen es die Offiziere, der entscheidende Fehler der Sowjetunion vor allem auf militärisches Gleichgewicht mit den USA zu setzen, und das aus wirtschaftlich klar unterlegener Position. Außerdem ist die Frage des Machtgleichgewichts eine eher subjektive Frage. China hat eine andere Berechnung für Mächtegleichgewicht als die USA, die vor allem auf klassischen Realismus setzen. Für China entscheidend ist es, die Schwächen der USA-Militärpräsenz auszuloten. China sieht diese in der satellitengestützen Kommunikation. Wenn es gelänge, die hochsensible Satellitenkommunikation der USA lahmzulegen, nützt auch die hohe militärische Überlegenheit nichts.

Die Maske des Mörders

Das Prinzip des Shashoujian (殺手鐧) besagt, frei übersetzt, die wahren Absichten zu verschleiern, aber darauf vorbereitet sein, zuzuschlagen, wenn es darauf ankommt. Wortwörtlich ist es die „Maske des Mörders“, und ist dem Prinzip des David gegen Goliath nicht unähnlich.  Im Englischen wird dieser Begriff ironischerweise neben „Assassins Mace“ auch als „Trump’s Card“ übersetzt.. Mit modernsten Technologien wie elektronische Impulse soll es gelingen, die USA auszuschalten. Dazu gehören auch raffinierte Torpedos und landgestützte Raketen, die ganze Flugzeugträgerverbände lahmlegen können. Eher unscheinbare Waffen also, die Goliath lahmlegen können. Ob Bakterien und Viren auch dazugehören, erwähnt Pillsbury nicht.

Zumindest bei Virusattacken aus dem Cyberspace ist China weltweit führend (ca. 90% in den USA kommen aus China), Chinas Weltraumaktivitäten, Militäraustausch, Technologieacquise für Militär-knowhow, Taiwan, sowie die Südchinesische See sind Tabuthemen, über die China mit den USA jedweden Dialog vermeidet. Stattdessen schmeichelt die chinesische Staatsführung den USA, insbesondere als Obama noch Präsident war. So hat der Generalsekretär der Kommunistischen Partei und Präsident Chinas, Xi Jinping, US-Präsident Obama vorgeschwärmt von den Federalist Papers von Alexander Hamilton oder von Thomas Paines Common Sense.

Die Strategie für den Griff zur Weltmacht

Pillsbury kristallisiert neun Aspekte aus der chinesischen Weltmachtstrategie heraus, die in den verschiedenen Bereichen internationale Regelwerke, Wirtschaft, Militär, Geopolitik usw. angewendet werden. Dies sind:

  1. Fördere Wohlgefallen beim Gegner um Alarmstimmung zu vermeiden
  2. Manipuliere die Berater des Gegners
  3. Sei geduldig, wenn nötig für Jahrzehnte, um den Sieg zu erreichen
  4. Stehle die Ideen des Gegners und seine Technologie zur Erreichung strategischer Ziele
  5. Militärmacht ist nicht das entscheidende Kriterion einen langen Wettbewerb zu gewinnen
  6. Sei Dir bewusst, dass der Hegemon auch extrem sein kann, um seine Stellung zu halten
  7. Versuche stets, die Dynamik zu kontrollieren (shi)
  8. Entwickle Standards um Deinen Status mit dem potentieller Herausforder zu vergleichen
  9. Sie stets aufmerksam gegebüber Versuchen eingekreist oder getäuscht zu werden.

Ein wichtiges Buch zur Strategie Chinas und US-Chinapolitik unter Trump

Pillsburys „Hundred-Year-Marathon“ hat viel Zuspruch in amerikanischen landesweiten Medien erhalten, ebenso aus der akademischen Disziplin International Relations. Die sinophilen Tauben der Sinologie hingegen haben – erwartbar – das Buch eher verrissen. Pillsbury dürte da jedoch drüber stehen, nicht zuletzt ist er fließend im Mandarin. Er zwei Jahre Ende der 1960er Jahre täglich mit vier verschiedenen Lehren an der National Taiwan University Mandarin gelernt. Pilssbury hält Vorträge auch auf Chinesisch. Sein Wissen und seine Einschätzung über Chinas Strategie hat er auch im jahrzehntelangen Austausch mit Führungspersönlicheiten des Militärs Chinas gewonnen. Wer einen Einblick in die chinesische außenpolitische Strategie, Motive der gegenwärtigen Chinapolitik der USA sowie einen Insiderblick in die Entwicklung der USA-Chinapolitik der letzten 50 Jahren haben möchte, für den ist dieses Buch unverzichtbar.

Newt Gingrichs Buch „Trump vs. China“ wurde hier im Blog Asienpolitik zuletzt vorgestellt und eignet sich ideal als Fortsetzungslektüre zu Pillsbury.

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