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Deutsche Asienpolitik

Bundestagswahl, Wahlprogramme und Taiwan

Welche Regierung würde sich für Taiwan einsetzen?

Am 26. September 2021 wählen die Deutschen einen neuen Bundestag, aus dem eine neue Bundesregierung hervorgeht. Das Rennen ist völlig offen, aber es wird wohl zu einer Drei-Parteien-Koalition kommen. Die Außenpolitik spielt in diesem Wahlkampf eine noch marginalere Rolle als sonst, doch außenpolitische Probleme lassen sich nicht unter den Tisch kehren, wie das Disaster der deutschen Außenpolitik in Afghanistan belegt. Noch weiter östlich hat der politische und militärische Druck der Volksrepublik China auf das unabhängig regierte und demokratische Taiwan in den letzten Jahren erheblich zugenommen. Chinas Präsident Xi Jinping schickt neben Kriegsdrohungen seit fast einem Jahr durchschnittlich jeden zweiten Tag Militärflieger in die Luftverteidigungszone Taiwans. China droht, Taiwan militärisch einzunehmen, wenn es noch länger auf Zeit spielt.

Zwar ist die Außen- und Sicherheitspolitik kein Wahlkampfthema, und Taiwan erst recht nicht. Aber wie sieht das mit den Wahlprogrammen der sechs aussichtsreichsten Parteien aus?

Wahlprogramme und Taiwan: Wird Taiwan erwähnt?

Dieser Beitrag untersucht die offiziellen Wahlprogramme der sechs Parteien AFD, CDU, FDP, SPD, Die Grünen und Die Linke nach ihrem china- und taiwanpolitischen Gehalt, plagiiert aus den Wahlprogrammen, und macht dies immerhin kursiv kenntlich. Wer, wenn überhaupt, erwähnt Taiwan? Und welche Regierungskoalition wäre für Taiwan die beste? Diese Frage wird quantitativ und qualitativ diskutiert.

Die AFD

Alle anderen Parteien im Bundestag möchten nicht mit dem Schmuddelkind AFD im Sandkasten spielen, sprich, in eine Regierung. Deshalb taugt das Parteiprogramm nur als Dummy-Variable . Mit 210 Seiten in extra-großer Schrift ist es das dickste Programm aller Parteien. Trotzdem findet sich für Taiwan kein Platz. Die AFD fordert Deutschlands „offensive Beteiligung“ an der „Seidenstraßen-Strategie“ und möchte sie von West nach Ost „ergänzen“.

Mit dem Projekt der „Neuen Seidenstraße“ hat China ein Jahrhundertvorhaben gestartet. Um hier mitgestalten zu können, setzt sich die AfD für eine offensive Beteiligung Deutschlands an dem Projekt ein. Die chinesische Seidenstraßen-Strategie von Ost nach West sollte Deutschland durch eine Initiative von West nach Ost ergänzen.

Die zunehmende Einflussnahme Chinas in der Welt ist eine Herausforderung. Eine Kooperation mit China darf nur unter Bedingungen der Gleichberechtigung und Fairness erfolgen. Das setzt insbesondere eine Angleichung der rechtlichen Rahmenbedingungen für Handel und Investitionen voraus. Ein weiterer Ausverkauf deutscher bzw. europäischer Technologie muss verhindert werden.

Diese durchaus populären Forderungen sind bereits Teil des chinapolitischen Mainstreams und auch der Europäischen Union (EU).

Die CDU

Die CDU ist seit Jahrzehnten die Regierungspartei Deutschlands und in der Asienpolitik traditionell Erfüllungsgehilfe der deutschen Großindustrie, namentlich des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI). Der Asien-Pazifik-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft ist seit praktisch 40 Jahren Ghostwriter der deutschen (und damit auch der europäischen) Asien- und Chinapolitik, die mit dem Motto „Wandel durch Handel“ jahrzehntelang kritische Stimmen in Schach gehalten hat. Der Begriff „systemischer Rivale“, der jetzt auf China gemünzt im CDU-Wahlprogramm auftaucht, fand sich 2019 erstmals in einer China-Strategie der EU. Und wer nur etwas tiefer gräbt, findet den wahren Urheber: den BDI.

Zwar wird Taiwan im Wahlprogramm kein einziges Mal erwähnt, doch ist es China gegenüber deutlich.

Systemischer Rivale im CDU-Wahlprogramm

Die große wirtschaftliche Dynamik in Asien und der Aufstieg Chinas
verändern das internationale Machtgefüge. Wir erleben die Missachtung des Völkerrechts und Regelbrüche durch bedeutende Staaten des internationalen Systems.

Die größte außen- und sicherheitspolitische Herausforderung geht heute von der Volksrepublik China aus. Sie ist Wettbewerber, Kooperationspartner, aber auch systemischer Rivale. China hat den Willen und zusehends auch den Machtanspruch, die internationale Ordnung nach eigenen Vorstellungen zu prägen und zu verändern – und tut dies mit allen Mitteln.

Einerseits müssen wir dort, wo es nötig ist, Chinas Machtwillen in enger Abstimmung mit unseren transatlantischen Partnern und anderen gleichgesinnten Demokratien mit Stärke und Geschlossenheit entgegentreten. Das gilt insbesondere beim Schutz des geistigen Eigentums, unserer Hochtechnologie und unserer Daten, damit wir nicht in gefährliche Abhängigkeiten geraten.

Andererseits wollen wir dort, wo es möglich ist, eine Zusammenarbeit mit China anstreben. Eine echte Partnerschaft ist nur im Rahmen eines fairen Wettbewerbs unter gleichen Bedingungen und bei Wahrung des Prinzips der Gegenseitigkeit möglich.

Damit diese Balance auf europäischer Ebene gelingt, setzen wir uns für eine europäische China-Strategie und ein gemeinsames Vorgehen des Westens ein.

Taiwan „mitgedacht“?

Das 21. Jahrhundert wird wesentlich von den Ländern Asiens und des Pazifiks geprägt werden. Wir setzen uns daher für enge Partnerschaften mit ihnen ein. Demokratien wie Australien, Neuseeland, Japan, Indien und Südkorea, die für die Stärkung der regelbasierten internationalen Ordnung eintreten, sind unsere natürlichen Kooperations- und Wertepartner. Mit der Entsendung einer deutschen Fregatte in den asiatisch-pazifischen Raum zeigen wir Präsenz und setzen das richtige Signal in Abstimmung mit unseren Partnern.

Taiwan wurde nicht erwähnt, die CDU macht Null Punkte. Inhalt und Tonart, einschließlich das namentliche Weglassen Taiwans, erinnern stark an die hier im Asienpolitik-Blog vorgestellten Indo-Pazifik-Leitlinien der Bundesrepublik. Die CDU fährt zweigleisig. Zwar wird das wichtigste außenpolitische Interesse der Volksrepublik nicht angesprochen (Vereinigung mit Taiwan), dafür fehlt es sonst nicht an Deutlichkeit. In der praktischen deutschen Diplomatie gilt Taiwan als „mitgedacht“, und die deutsche Fregatte mit dem schönen Namen Bayern soll dies belegen.

Die Linke

Das Parteiprogramm ist mit 168 Seiten nach dem AFD-Programm das zweitlängste und zudem sehr klein gedruckt. Es ist auch in „einfacher Sprache“ verfügbar. Chinapolitisch ist das allerdings nicht notwendig.

„USA und EU versuchen, ihre Vormachtstellung gegen Russland und China durchzusetzen. Das droht in einen neuen Kalten Krieg zu eskalieren. In Strategiepapieren der NATO und EU werden Russland und China als Feindbilder beschrieben, das lehnen wir ab. Wir stellen uns gegen alle Formen des Imperialismus.“

„Handelskonflikte wie die zwischen den USA und China bzw. der EU haben wirtschaftliche und soziale Schäden angerichtet und die Standortkonkurrenz verschärft.“

„Die USA und ihre Verbündeten auf der einen, China und Russland auf der anderen Seite haben den Sicherheitsrat und die Vereinten Nationen (UN) in den vergangenen Jahren blockiert.“

Für Taiwan bleibt es auch bei den Linken trübe. Denn aus deren Sicht ist China ein Opfer der westlichen imperialistischen Militärstrategie. Die Linke und die chinesischen Kommunisten stehen sich nach wie vor nahe.

Die Linke steht selbst bei den Grünen im Ruf, nicht außenpolitikfähig zu sein (NATO, Militäreinsätze, EU). Wie sich das in einer möglichen Koalition mit SPD und Grünen auswirkt, wäre ein spannendes Experiment.

Die SPD

Das Wahlprogramm der SPD, „Aus Respekt vor Deiner Zukunft. Das Zukunftsprogramm der SPD. Wofür wir stehen. Was uns antreibt. Wonach wir streben“ ist 66 Seiten lang. Doch was noch mehr fesselt als dieser Titel: Taiwan wird erwähnt, ein einziges Mal!

„Interessens- und Wertekonflikte mit China nehmen zu. Europa muss den Dialog mit China […] konstruktiv und kritisch führen. Die gravierenden Menschenrechtsverletzungen gegenüber Minderheiten, insbesondere uigurischen Muslimen, verurteilen wir. Für Honkong muss das international verbriefte Prinzip „Ein Land – zwei Systeme“ gewahrt bleiben. Wir betrachten mit großer Sorge den wachsenden Druck auf Taiwan.“

Im CDU-Programm wurde der Fall Hongkong übrigens kein einziges Mal erwähnt.

Die Grünen

Sappralott: Taiwan wird im grünen Wahlprogramm sage und schreibe fünf Mal erwähnt! Falls sich das alte Ehepaar CDU/CSU und SPD wirklich auseinandergelebt haben sollte, werden die Grünen mit großer Wahrscheinlichkeit an einer Regierung beteiligt sein und vielleicht sogar die Kanzlerin stellen. Wahrscheinlicher ist derzeit allerdings, dass es nach Joschka Fischer (1998-2007) wieder grün im Außenamt wird. Im einen wie anderen Fall bedeutet dies einen großen Einfluss in der Außenpolitik.

„Wir unterstützen die Einbindung Taiwans in die WHO inklusive eines
Beobachterstatus.“

China ist Europas Wettbewerber, Partner, systemischer Rivale. Wir verlangen von China ein Ende seiner eklatanten Menschenrechtsverletzungen, etwa in Xinjiang und Tibet und zunehmend auch in Hongkong.

Es braucht auch einen konstruktiven Dialog mit China, der dort eine
Kooperation sucht, wo es zu konstruktiver Zusammenarbeit bereit ist,
und klare Gegenstrategien bereithält, wo China systematisch versucht,
internationale Standards zu schwächen.

„Wir halten uns an die „Ein-China-Politik“ der Europäischen Union und betonen, dass die Vereinigung mit Taiwan nicht gegen den Willen der Bevölkerung Taiwans erzwungen werden darf. Gleichzeitig wollen wir den politischen Austausch mit Taiwan ausbauen.“

Australien, Japan, Neuseeland, Südkorea und auch Taiwan betrachten wir ebenso als wichtige Partnerländer, wie wir die strategischen Partnerschaften mit Indien und mit ASEAN ausbauen wollen.

Die Grünen betonen einen politischen Ansatz, bekennen sich zur Ein-China-Politik. Sicherheitspolitisch ist nichts enthalten, aber viel mehr als die Fregatte mit dem schönen Namen Bayern hat die CDU auch nicht aufgeboten.

Die FDP

Wahlprogramme und Taiwan – es funkelt gelb! Die FDP erwähnt Taiwan sage und schreibe sechs Mal und liegt damit auf Platz 1 der untersuchten Parteiprogramme. Das 68-seitige Dokument widmet Taiwan sogar einen ganzen Unterabsatz! Interessant ist auch ein innovativer Ansatz in neuen Technologien, der Taiwan einschließt:

Digitalisierung trifft Diplomatie – und Taiwan. „Wir wollen, dass Deutschland diplomatisch aktiv dazu beiträgt, die Beziehungen und Netzwerke zwischen Technologieunternehmen und Start-ups sowie Gründern und Entwicklern in der Bundesrepublik und in Zentren wie dem Silicon Valley, Taiwan, Tel Aviv, Singapur, Shenzhen und Daejeon auszubauen.“

Den erwähnten Unterabsatz plagiiert im Original und fast vollständig wie folgt:

Das demokratische Taiwan unterstützen

Wir Freie Demokraten unterstützen die demokratische und rechtsstaatliche Entwicklung in Taiwan als gelungenen Gegenentwurf zum autoritären Herrschaftssystem in der Volksrepublik China. Wir befürworten die Bemühungen Taiwans um Einbindung in internationale Organisationen – soweit das unterhalb der Schwelle einer staatlichen Anerkennung erfolgen kann. […] Eine Vereinigung von China und Taiwan kann nur im friedlichen Konsens erfolgen. Militärische Drohgebärden der Volksrepublik China gegen Taiwan verurteilen wir aufs Schärfste. Gemeinsam mit unseren europäischen Partnern und anderen Demokratien, allen voran Australien, Japan, Indien und den USA, wollen wir eine Strategie entwerfen, um China von der Drohung einer gewaltsamen Einnahme Taiwans abzubringen und China anhalten, auf dem Pfad der Diplomatie zu bleiben. Unser langfristiges Ziel ist es, dass sich die Volksrepublik China und Taiwan im friedlichen Dialog darauf verständigen, den Bürgerinnen und Bürgern Taiwans die freie Entscheidung über ihre politische Zukunft zu ermöglichen.

Wahlprogramme und Taiwan: Ein Fazit

Die aktuellen Regierungsparteien aus CDU/CSU und SPD erwähnen Taiwan nur ein einziges Mal. Allerdings ist die Chance einer Neuauflage sehr gering. Wahrscheinlicher wäre eine Koalition aus drei Parteien. Die Jamaika-Variante, vor vier Jahren an der FDP gescheitert, käme mit 11 Erwähnungen trotz CDU-Nullnummer weit nach oben. Nur eine Ampelkoalition aus rot-gelb-grün mit 12 Erwähnungen Taiwans in den Parteiprogrammen wäre noch stärker.

Wahlprogramme und Taiwan
Wahlprogramme und Taiwan

Allerdings sollten auch qualitative Gesichtspunkte berücksichtigt werden.

Würde es statt „der“ Ampel zu einer „roten“ Rot-Grün-Roten Ampel kommen, sind die Taiwanerwähnungen nicht nur quantitativ halbiert. Es würde wohl auch eine china- und taiwanpolitische Blockade in der Regierung drohen. Denn die Linke lebt chinapolitisch in ihrer eigenen Welt.

Eine Jamaika-Koalition käme mit elf Taiwan-Erwähnungen zwar auf eine Stimme weniger als die Ampel. Da von einem Bundeskanzler Laschet außenpolitisch wenig zu erwarten wäre, könnten aus dem Außenamt, ob grün oder gelb geführt, umso mehr taiwanpolitische Akzente kommen. Für kreative Ansätze spricht das FDP-Programm, das souverän Taiwan zwischen Silicon Valley und Tel Aviv zu packen imstande ist. Die inhaltliche Übereinstimmung der CDU und der Grünen in der China/Taiwanpolitik ist überraschend groß.

Normativere Ampel, pragmatischeres Jamaika?

Die Nichterwähnung Taiwans im CDU-Programm (und in der Indo-Pazifikstrategie) könnte auch als ein Kompromiss zwischen Angela Merkel und Annegret Kramp-Karrenbauer interpretiert werden. Letztere, so hörte man, hat die Fregatte mit dem schönen Namen Bayern gegen Merkelsche Bedenken durchgesetzt. Noch mehr wollte Merkel China wohl nicht zumuten. Im September 2007 empfing sie den Dalai Lama im Kanzleramt – die chinesischen Großaufträge gingen dann nach Frankreich. Der pragmatischere Ansatz der CDU könnte dem normativeren der SPD überlegen sein. Allerdings ist der Fall Hongkong eine Fehlstelle im CDU-Programm, während die SPD die dringendsten Punkte, einschließlich Xinjiang, zügig abarbeitet. Die CDU hat insgesamt breitere Wählerinteressen bezüglich China/Taiwan abzudecken als die SPD und die Grünen. Letztere haben in China eher nicht investiert.

Wichtig ist zudem nicht nur die Koalitionsfrage, sondern auch ein guter Draht zu den anderen europäischen Hauptstädten und nach Brüssel. Nach Brexit sind Frankreich und die Niederlande die wichtigsten deutschen handelspolitischen Partner in der Region. Sicherheitspolitisch muss trotz Brexit auch auf die Briten gebaut werden.

Bleibt nur die Frage an die Leser*innen: Welche Koaltion wäre aus Ihrer Sicht am besten geeignet, positive Akzente in der deutsch/europäischen China- und Taiwanpolitik zu setzen? Welche Partei hat Sie enttäuscht, und welche positiv überrascht?

 

 

 

 

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