RCEP wird der größte Freihandelsraum der Welt
Der Westen (bzw. die westlichen Medien) schauen wieder einmal voller Ehrfurcht auf das Tempo, das Asien vorlegt. Denn während Europäer und die Vereinigten Staaten von US-Wahlen und Corona geplagt sind, unterzeichnen am 15. November 2020 15 Staaten des Asien-Pazifiks den weltweit größten Freihandelsvertrag. Regional Comprehensive Economic Partnership (RCEP) heißt das gute Stück Vertragstext, das nun in den Ratifizierungsprozess geht.
RCEP umfasst rund ein Drittel der Weltbevölkerung und des Welthandels. Insgesamt acht Jahre lang haben die Staaten des südostasiatischen Staatenverbunds ASEAN, China, Japan, Südkorea, sowie Australien und Neuseeland verhandelt. Auch Indien war ursprünglich mit von der Partie, hat es sich aber zwischenzeitlich anders überlegt. Wie The Straits Times aus Singapur berichtet, werden insgesamt Tarife auf 92% der Güter abgeschafft, sowie Exporte erleichtet. Doch um was geht es da eigentlich?
Um die „Durchschlagskraft“ des Handelsvertrags zu überprüfen, empfiehlt sich ein Blick auf den Begriff „comprehensive“ aus Sicht der Handelsbürokratie der Europäischen Union (EU).
RCEP – ein umfassendes Handelsabkommen?
Die erste Einschätzung ist grundsätzlich das positive Zeichen, dass von RCEP ausgeht. Wichtige Handelsstaaten, die untereinander in allerlei Konflikte verwickelt sind, können sich immer noch auf einen Vertragstext einigen. Und das in einer von Pandemie und zunehmendem Protektionismus geprägtem welthandelspolitischem Klima, sowie einem China, dass manchen Nachbarn auch Angst einjagt.
Das Wort „comprehensive“, also umfassend, wird im EU-Sprech gerne auch als „tiefes“ Abkommen verstanden, inklusive „Beyond-the-Border-Issues“ (Regulierungen, die in die politische Ökonomie der Addressaten eingreifen). Allerdings scheint RCEP keine marktregulierenden Politiken zu enthalten, die in die Hoheitsrechte von Staaten eingreifen. Selbst ein Schiedsgericht für handelspolitische Streitigkeiten (oft als Kronjuwelen des internationalen Handelsrechts bezeichnet) scheint der Text nicht zu beinhalten. Von Umweltschutzregulierungen und Sozialstandards ist ebenfalls nichts bekannt.
Soweit bisher bekannt, enthält das Abkommen zwar Kapitel zum Urheberrechtsschutz, zum E-Commerce und zu Services. Zentrale Felder der Regulierungen, in denen die EU unbedingt mitmischen möchte, zum Beispiel auch die Wettbewerbspolitik und das Öffentliche Beschaffungswesen, scheinen jedoch ebenfalls zu fehlen. Das ist auch kein Wunder, denn sowohl China als auch die Politiker der ASEAN-Staaten begegnen Transparenzregeln eher skeptisch. Auch die Regeln zum Urheberrechtsschutz dürften eher nicht jenseits bereits ausgehandelter internationaler Standards liegen.
Müssen sich Europäer nun also warm anziehen wenn asiatische Wirtschaftsmächte näher zusammenrücken? Zumindest nicht wegen RCEP. Es handelt sich bei dem Handelsvertrag eher um ein „flaches Abkommen“.
Ein flaches Abkommen, aber mit Symbolkraft
Bei RCEP geht es hauptsächlich darum, internen Handel zu erleichtern. Dies dürfte zumindest auf absehbare Zeit keine größeren Auswirkungen auf die EU haben, zumal selbst für die Tarifsenkungen insgesamt 20 Jahre eingeplant sind. Dass allein zeigt schon, dass man vorsichtig zu Werke geht.
Trotzdem sollten es für die EU ein Warnschuss sein. Denn auf die Europäer wartet in Asien-Pazifik handelspolitisch niemand. Ob die neuen deutschen Leitlinien zum Indo-Pazifik eine passende Antwort sind? Und es dürfte auch kaum ein Trost sein, dass dies mittlerweile auch auf die USA zutrifft. Denn unter Donald Trump haben sich die USA 2017 aus der bereits fertig ausgehandelten Transpacific Partnership (TPP) verabschiedet. Dieses wirklich umfassende Handelsprojekt war zurecht als Antwort auf Chinas Staatskapitalismus verstanden worden. Doch dies ist kein Grund für europäische Schadenfreude. Die EU sollte ihre handelspolitischen „Regulierungsangebote“ überarbeiten und gegebenenfalls abspecken, um mit ASEAN besser ins Geschäft zu kommen. Die 2008 gescheiterten interregionalen Handelsgespräche zwischen der EU und ASEAN hängen der EU bis heute nach.