Expertenrunde diskutiert Taiwans militärische Verteidigung
Der Taiwan Foreign Correspondents’ Club (TFCC) hat am 16. September für seine Mitglieder die Diskussionsrunde “What’s next for Taiwan’s defense strategy?” im Regent Hotel veranstaltet. Die hochrangigen Diskutanten waren Ivan Kanapathy, ehemaliger Direktor des Nationalen Sicherheitsrates für China, Taiwan, und die Mongolei und derzeit Vizepräsident des Think Tanks von Beacon Global Strategies, sowie Cheng Ming-chi, Chief Executive Officer an Taiwans National Defense and Security Research (INDSR). Moderator war TFCC-Präsident Thompson Chau, der des Öfteren für Nikkei Asia aus Taiwan berichtet.
Taiwans unveränderte Situation nach den Wahlen
Kanapathy sieht Taiwans bedrohte Lage nach den Präsidentschaftswahlen unverändert. Weiterhin sendet China mit Militärschiffen und -Flugzeugen sehr klare Botschaften. Allerdings hat sich die Situation auch nicht verschärft, wie manche Beobachter vor den Wahlen vermuteten.
Die Bestandsaufnahme rückt zunächst die Militärbudgets der USA, Taiwans Schutzmacht, und Taiwan in den Mittelpunkt. Der Militärhaushalt der USA entwickele sich laut Kanapathy seit drei Jahren „flach“. Taiwans Militärbudget betrachtet Cheng hingegen trotz neun ProzentWachstums im Vergleich zum Vorjahr als nicht angemessen und zu gering. Taiwan peilt an, zukünftig drei Prozent vom Volkseinkommen in die Verteidigung zu investieren. Der ehemalige Soziologieprofessor und Vizeminister des Mainland Affairs Council macht auf die demographische Entwicklung Taiwans aufmerksam, die allenfalls eine schrittweise Steigerung des Militärhaushalts erlaubt, zumal Taiwan weltweit das Land mit der niedrigsten Steuerbelastung sei und es schwierig sei, eine Balance im knapp bemessenen Haushalt herzustellen.
Taiwans asymmetrische Verteidigungsfähigkeit – ein schwieriges Konzept
Auch stellt sich die Frage nach den militärtechnischen Prioritäten. Taiwan könne zwar viele militärischen Fähigkeiten einkaufen, es wird aber unmöglich bleiben, mit China gleichzuziehen, weshalb es immer auf einen asymmetrischen Krieg gegen den übermächtigen Gegner hinauslaufen würde. Cheng gibt zu, dass Taiwan nicht weiß, wie es sich gegen einen Angriff Chinas effektiv verteidigen könne, zumal es seit Jahrzehnten keine kriegerischen Erfahrungen gesammelt hat. „Asymmetrische Kriegsführung“ ist ein Konzept, dass wenig verstanden wird, zum Beispiel gibt das Konzept wenig klare Hinweise darauf, welche militärischen Fähigkeiten konkret gestärkt werden sollten. Kanapathy führt aus, dass die Ukraine pro Tag 500 der extrem wichtigen Javelin Schulterrraketen zu Beginn der russischen Invasion verbraucht hat. Soviel habe Taiwan in Jahrzehnten angehäuft. Cheng betont, dass Kosteneffektivität sehr wichtig sei, und die Anschaffung von U-Booten dies eben nicht sei.
Aus diesen Gründen sei es das Ziel der USA, eine militärische Balance in der Region herzustellen oder zu sichern um Krieg von vornherein zu vermeiden.
Die Rolle von privaten Militärausbildern
Seit wenigen Jahren versuchen einige private Militärtrainingscamps in Taiwan, zum Beispiel die Organisation Kuma Academy, Zivilisten militärisch zu trainieren. Der in Yale ausgebildete Soziologe Cheng betont, dass es wichtig sei, das Selbstbewusstsein der Taiwaner zu stärken und diese Nichtregierungsorganisation willkommen seien und ihren Teil dazu beitragen. Allerdings erschwere das „Mindset“ der taiwanischen Regierung und des Militärs eine Zusammenarbeit mit diesen Organisationen. Auch hier sei nur ein langsamer, schrittweiser Wandel vorstellbar.
Wandel der Europäer
Kanapathy sieht die Europäer in der Pflicht, mehr in die eigene Verteidigung zu investieren, damit die Amerikaner in Europa Resourcen für Ostasien freibekommen. Cheng betont, wie wichtig es sei, dass sich auch die Europäer stärker engagieren. So hebt er positiv hervor, dass Frankreich nun endlich militärische Ersatzteile für die einst in den 1990er Jahren angeschafften Militärgüter liefert. Auch wird es gesellschaftlich und in den sozialen Medien sehr positiv aufgenommen („with excitement“), dass eine deutsche Fregatte zum ersten Mal seit 22 Jahren durch die Taiwan-Straße gezogen ist.
Insgesamt bleibt es ein schwieriges gesellschaftspolitisches und militärisches Unterfangen, Taiwans asymmetrische Verteidigungsfähigkeit zu stärken.
In einem aktuellen Buch, das Kanapathy als Co-Autor mitveröffentlicht hat, erfahren Leser mehr, wie sich amerikanische Realisten (Machtgleichgewicht und Abschreckung als Maxime) die Verteidigung Taiwans vorstellen.