Chinas Arktispolitik hat sich seit Beginn des 21. Jahrhunderts über einen Zeitraum von etwa zwei Jahrzehnten schrittweise entfaltet. Angefangen hat es mit dem Schneedrachen, dem chinesischen polaren Forschungsboot, das 1999 erstmals in die Arktis aufbrach. Fast zwei Jahrzehnte später, 2017, hat China jedoch erstmals Militärboote in die (kanadische) Arktis geschickt. Nach Jahren des Wartens wurde China 2013 erstmals als Beobachter zum Arktischen Rat eingeladen. Heute betrachtet sich China als ein „nah-arktischer“ Staat und als eine polare Großmacht. Das offizielle, im Januar 2018 publizierte Dokument „China’s Arctic Policy“ zog kritische mediale Aufmerksamkeit auf sich. Das lag auch am Begriff polare Seidenstraße, bei der es sich um eine Umwidmung der Nördlichen Seestraße handelt, die entlang Russlands nach Asien führt.
Die New York Times titelte im Mai 2019 „Latest Arena for China’s Growing Global Ambitions: The Arctic“; ein Newsweek-Beitrag titelte „How China’s Arctic Empire Will Upset The Global Balance of Power“ und CNBC sprach davon wie „Russia and China vie to beat the US in the trillion-dollar race to control the Arctic“. Den arktischen Schneehasen abgeschossen hat US-Präsident Donald Trump mit der Idee, Grönland zu kaufen und sich dessen Resourcen zu sichern, bevor dies China tut. Grund genug also, Chinas Arktispolitik einmal genauer zu untersuchen.
Dieser Artikel untersucht die Interessen und Ziele, die Instrumente, und die ersten Ergebnisse der Arktispolitik Chinas.
Chinas arktische Interessen
In der akademischen und Think Tank Literatur werden Chinas arktische Interessen wie folgt zusammengefasst (die Reihenfolge ist hier beliebig):
- Forschung zum arktischen Klimwandel und Rückwirkungen auf China
- Arktische mineralische Rohstoffe, insbesondere Seltene Erden, Nickel, Zink, und Kupfer
- Maritime Proteine
- Öl- und Gasvorkommen (Verträge mit Russland, Norwegen)
- Seewege erforschen (nördliche, östliche, und transarktische Seestraße) mit neuen Eisbrechern
- Kalte-Klima-Technologien
- Polare Seidendstraße, Arktischer Korridor und „Talsinki-Tunnel“
- Eurasische digitale Konnektivitiät
- win-win-Kooperation „unter“ der Belt and Road Initiative
- Präsenz als maritime Großmacht
Die polare Seidenstraße wäre eine weitere Ausweichmöglichkeit für den eurasischen Handel (siehe Karte oben). Das ist geopolitisch für China nicht unerheblich. Es verringert seine Verwundbarkeit erheblich, wenn es entlang des eurasischen Juniorpartners Russland seine Waren und Energieresources verschifft. In 2020 gehen ca. vier von fünf Fässern Öl aus Arabien in den Osten. Eine militärische Präsenz in der Arktis ist für China ebenfalls erstrebenswert. Denn wie ein arktischer Beobachter kommentierte, „[w]here the merchant flees go, navies will shortly follow“ . Mittelfristig bedeutet das auch, gemeinsame Kriegsspiele mit Russland zu veranstalten, wie dies in der Ostsee bereits geschehen ist. Außerdem baut China bereits an einem riesigen High-Tech-Eisbrecher und entwickelt spezielle arktisfähige, vermutlich atomgetriebene, U-Boote. Da die USA und NATO nicht über solche Technologien für die Arktis verfügen, könnte China relativ leicht eine militärische Respektskulisse in der Arktis aufbauen, sich dabei aber auf das Seerecht berufen.
Globalisierung der Arktis
Dennoch: Chinas wichtigstes arktisches Ziel scheint es derzeit zu sein, Teilhabe an den Chancen und Möglichkeiten der Arktis zu haben. Dies geschieht am besten durch die „Globalisierung der Arktis„. Das heißt, die Arktis rechtlich und politisch so zu behandeln, wie jede andere Region auch. Bisher hatte die Artkis immer einen Sonderstatus aufgrund ihrer Vulnerabilität. Diesen könnte die Region verlieren, und die Europäer und die Indigenen des Nordens sollten sich über die Konsequenzen im Klaren sein. Denn „zu“ hohe Umweltschutzstandards bezüglich Schiffswesen, Resourcen und Schadstoffemissionen etc. würden Chinas Zielen widersprechen.
Chinas Arktispolitik: multilaterale, regionale und bilaterale Ansätze
Es gibt ca. 20 globale Konventionen, die auch in der Arktis Anwendung finden. Dabei handelt es sich um Sozial-, Umwelt-, Wirtschafts- und die Seerechtskonvention der Vereinten Nationen. Auch der Arktische Rat hat in den letzten Jahren seine Daseinsberechtigung mit drei arktisspezifischen Regelwerken unterstrichen. Das älteste Regelwerk für die Arktis ist der Spitzbergen-Vertrag, der bereits 1920 unterzeichnet wurde und Norwegens Souveränität über das Insel-Archipel sichert. Dabei ist den Vertragsstaaten erlaubt, in und um Spitzbergen zu fischen, zu jagen, Minenbau, Handel und industrielle Aktivitäten zu betreiben. Aus jüngerer Zeit stammt der „Polar Code“ für das polare Schiffswesen, dem auch China beigetreten ist. Dieser sieht etwas höhere Schiffsstandards für polare Gewässer vor. Eine Übersicht über alle Konventionen und Regelwerke, die in der Arktis Anwendung finden, liefet das Arctic Portal.
Auf regionaler Ebene spielt vor allem der Arktische Rat eine wichtige Rolle, sowie regionale Fischereiabkommen, die seit einigen Jahren verhandelt werden. Ein neues Abkommen sieht vor, dass in der Zentralarktis erst einmal kein Fischfang betrieben werden soll. China ist diesem Abkommen beigetreten. Seit 2013 ist China Beobachter im Arktischen Rat. Ständige Mitglieder können nur Staaten sein, die Land oder Gewässer innerhalb des Arktischen Kreises haben. Dies trifft für die USA (via Alaska), Kanada, Russland sowie für die fünf skandinavischen Staaten zu. Als Beobachter nimmt China, wie 37 weitere Beobachterstaaten, an den Arbeitsgruppen teil, allerdings etwas reger als die meisten anderen. Stimmrecht haben Beobachter nicht.
Great Game in der Arktis?
Der Arktische Rat hat laut Oran Young in der Vergangenheit einen sehr guten Job gemacht. Allerdings meint Young, einer der profiliertesten Arktisexperten bezüglich politischer Regime, dass er neuen Akteuren von außerhalb nicht genug Raum gibt, sich einzubringen., weshalb das arktische Governance-System aus globalen, regionalen und politikfeldspezifischen Regelungen ins Wanken geraten ist. Dies könnte nichtarktische Staaten dazu bewegen, andere Wege in der Arktis zu gehen um zum Ziel zu kommen, wie zum Beispiel durch bilaterale Diplomatie oder eben durch Machtpolitik.
Bilateraler Schwenk in die Barentsee
Wie überall auf der Welt bevorzugt China bilaterale Ansätze. Zwar verwendet China stets eine starke Multilateralismus-Rhetorik, diese sollte man allerdings einordnen, richtet sich diese doch im Wesentlichen gegen das vermeintliche Hegemoniestreben der USA. Island und Dänemark waren in den Anfangsjahren des letzten Jahrzehnts bevorzugte arktische Gesprächspartner, als es vor allen Dingen um Resourcen ging, insbesondere in Grönland. Als die weltweite Nachfrage nach Rohstoffen nach 2012 nachließ, wurde Bergbau in der arktischen Kälte und Dunkelheit aufgrund der hohen Kosten unattraktiv. Auch deshalb hat sich China in den letzten Jahren verstärkt Russland, Norwegen und Finnland zugewandt. Denn dieses sind die wichtigsten Ansprechpartner für Öl und Gas sowie die polare Seidenstraße. Da 80 Prozent der arktischen Seefahrt durch norwegische Gewässer gehen, hat China auch ein implizites Interesse, dass sich Norwegen gegen höhere Schifffahrtsstandards, die von der EU und vom World Wildlife Fund (WWF) gefordert werden, einzusetzen – Stichwort „Globalisierung der Arktis“.
Chinas Arktispolitik: Was hat sie bisher erreicht?
Die Arktis ist eine sich stark verändernde Region – und China ist die aufstrebende Weltmacht. Mit der Belt and Road Initiative und der Polaren Seidenstraße, die ein Teil von ihr ist, verfügt China über den derzeit dynamischsten Ansatz in der globalen Wirtschaftspolitik. In der Nach-Corona-Welt wird dieser eher noch wichtiger und nachdrücklicher seitens Chinas verfolgt werden. Bisher hat China in der Arktis folgendes erreicht:
- Beobachterstatus im Arktischen Rat und akzeptierter arktischer Akteur
- intensive Erforschungen der Arktis seit zwei Jahrzehnten
- China ist führend in arktischer Schifffahrt (COSCO) und baut den Vorsprung weiter aus (Eisbrecher, Handelsschiffe)
- es hat privilegierte Beziehungen zu Russland, dem Akteur mit dem größten arktischen Territorium.
- Die intensiven Energiebeziehungen mit Russland machen arktische Schifffahrt für China schneller wirtschaftlich als für andere Akteure
- 2017 fand die erste chinesische Militärexpedition an der kanadischen Küste statt, eine Militarisierung der Arktis durch China ist wahrscheinlich
- stark verbesserte Beziehungen zu Norwegen, das ein Partner für Niedrigstandards und soft hedging gegen höhere Standards der EU werden könnte, ebenso wie Island, dem ersten europäischen Land mit einem Freihandelsabkommen mit China
- insgesamt gute und breit aufgestellte Beziehungen zu den anderen skandinavischen Staaten, derzeit mit Ausnahme Schwedens
Ist (oder wird) die polare Seidenstraße ökonomisch und ökologisch nachhaltig? Da bestehen berechtigte Zweifel. China verfolgt in der Arktis jedoch nicht nur ökonomische, sondern auch geopolitische Ziele. Deshalb kommt eine Kosten-Nutzen-Rechnung aus chinesischer Sicht zu einem anderen Ergebnis als eine europäische, die rein auf Wirtschafts- und Umweltfragen sieht.